Ostfildern/Köln. Wer ein gebrauchtes Auto kaufen möchte, muss derzeit fast immer tief in die Tasche greifen. „Wir sehen einen sehr, sehr stabilen Gebrauchtwagenmarkt über alle Hersteller hinweg“, sagt Martin Weiss, Leiter der Fahrzeugbewertung beim auf Marktdatenanalyse spezialisierten Unternehmen Deutsche Automobil Treuhand (DAT).

Konkret hat das zum Beispiel der Online-Automarkt „Autoscout 24“ aus seinen Daten ermittelt. Auf dem Portal kostete ein genutztes Fahrzeug aus Deutschland im Juni 2021 durchschnittlich knapp 23.000 Euro und damit 2.700 Euro mehr als im Juni 2020. Normalerweise ließen die Preise im Sommer nach, heißt es, aktuell sei davon allerdings nichts zu spüren – so etwas habe es bisher nicht gegeben. Auch die Autobörse „mobile.de“ meldet für Juni einen Rekord-Durchschnittspreis.

Der stärkeren Nachfrage nach Gebrauchtwagen steht ein stark gesunkenes Angebot gegenüber

Die ungewöhnliche Preisentwicklung sei vor allem eine Auswirkung der Corona-Pandemie, erklärt DAT-Experte Weiss. Die Angst vor der Ansteckung in Bus und Bahn habe viele Menschen zum Autokauf angeregt, der Stellenwert des Autos sei gestiegen.

Aber dem stehe ein besonders geringes Angebot vor allem an jüngeren Gebrauchtwagen gegenüber: Das liege an fehlendem Nachschub durch die Ausfälle bei der Neuwagen-Fertigung. „Viele Firmen haben ihre Produktion in der Pandemie heruntergefahren, weil Lieferketten unterbrochen waren“, so Weiss. Nach wie vor führt bekanntlich der Chipmangel zu Engpässen und langen Lieferzeiten.

„Momentan ist nicht abzusehen, dass die Preise nach unten gehen.“ (Martin Weiss, Deutsche Automobil Treuhand)

Schließlich seien Gebrauchte jetzt auch deshalb ein rares Gut, weil viele Mietwagenanbieter und Fuhrparks in der Pandemie ihre Neuwagen-Bestellungen zurückgefahren hätten und folglich nun weniger Gebrauchte auf den Markt kämen.

Vor allem jüngere Gebrauchte sind teurer geworden

Verteuert hätten sich vor allem jüngere Autos bis maximal vier Jahre, ergänzt Heinz-Gerd Lehmann, Technik-Experte beim ADAC Nordrhein. Das gelte insbesondere für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotoren, denn wegen der attraktiven Zuschüsse für Neuwagen mit Elektroantrieb seien gebrauchte Stromer weniger interessant. Wer jetzt einen jungen Gebrauchtwagen mit Diesel- oder Benzinmotor kaufe, warte oft schon auf eine günstige Gelegenheit, um auf ein Elektroauto umzusteigen – das ist jedenfalls Lehmanns Beobachtung: „Die Leute wollen noch ein paar Jahre überbrücken.“

Den Ansturm auf gebrauchte Dieselfahrzeuge erklärt Lehmann auch mit dem Boom im Camping-Sektor: „Der beste Zugwagen für einen Wohnwagen ist immer noch ein Diesel.“ Da auf dem Gebrauchtwagenmarkt längst auch die umweltschonenden Diesel mit der Abgasnorm 6 angekommen seien, spiele die Sorge vor Diesel-Fahrverboten keine so große Rolle bei der Kaufentscheidung mehr wie noch vor ein paar Jahren.

Der ADAC-Mann ist sich sicher: Der Markt für Gebrauchte wird sich so schnell nicht abkühlen. Bei der DAT sieht man das genauso: „Momentan ist nicht abzusehen, dass die Preise nach unten gehen“, sagt Weiss. Auch, weil die Pandemie ein wichtiger Faktor bleibe. Gute Zeiten immerhin – für Gebrauchtwagen-Verkäufer.

Tobias Christ
Autor

Nach seinem Germanistik-Studium in Siegen und Köln arbeitete Tobias Christ als Redakteur und Pauschalist bei Tageszeitungen wie der „Siegener Zeitung“ oder dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Derzeit schreibt er als freier Journalist Beiträge für Print- oder Onlinemedien. Für aktiv recherchiert er vor allem Ratgeberartikel, etwa rund um die Themen Mobilität und Arbeitsrecht. Privat wandert der Kölner gern oder treibt sich auf Oldtimermessen herum.

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