Giengen an der Brenz. Dieser Mann hat gerade jetzt, in Zeiten des anhaltenden Materialmangels, keinen leichten Job: Ayhan Oran, der die globale Materialplanung bei BSH Hausgeräte leitet. „Unser Team sorgt dafür, dass die BSH-Fabriken auf dem ganzen Globus stets produzieren können“, sagt er. In dieser Position im oberen Führungskreis vermuten manche vielleicht den Absolventen einer tollen Uni, mit Spitzen-Abschluss in Sachen Wirtschaft oder so. Falsch!

Der Werdegang des heute 40-Jährigen zeigt, welche Chancen sich in der Industrie bieten. Der junge Ayhan, Sohn türkischer Arbeiter, macht mit 16 den Realschulabschluss. Und hat erst mal keine Ahnung, wohin er sich beruflich entwickeln will. So macht er bei BSH in Giengen eine Ausbildung zum Industriemechaniker, startet dann in der Produktion. Doch allmählich entwickelt der junge Mann den Willen und den Ehrgeiz, sich neue Möglichkeiten zu suchen. Statt im gleichen Trott zu bleiben, will er was bewegen und mitgestalten. „Fast fünf Jahre lang habe ich nach der Arbeit die Abendschule besucht. Montags, mittwochs, freitags.“ So bildet er sich zum Technischen Fachwirt bei der IHK weiter.

„Ich wollte allen beweisen, dass man sich stetig weiterentwickeln kann“

Leute in seinem Umfeld sind skeptisch, er spürt so manches Vorurteil gegenüber dem zweiten Bildungsweg und seinem Werdegang. „Ich bekam zum Beispiel zu hören, dass das doch nichts Halbes und nichts Ganzes wäre“, sagt der Manager im Gespräch mit aktiv. „Aber ich wollte allen das Gegenteil beweisen, dass man es selbst in der Hand hat und sich stetig weiterentwickeln kann. Egal, wo man herkommt, wo man steht und welche Ausbildung man hat.“

Mit Vorurteilen gelassen umzugehen, das hatte er schon früh gelernt. Als Migrantenkind entwickle man „feine Antennen“ dafür, mit wie viel Offenheit oder Skepsis man von seinem Umfeld wahrgenommen werde.

Multikulturellen Hintergrund kann man gezielt als Vorteil nutzen

Bei BSH bekommt Ayhan Oran die Chance. Er wird Projektmitarbeiter, hat nun einen eigenen Schreibtisch und weiß noch gar nicht, dass die Reise erst beginnt. Er macht bei der IHK noch eine Weiterbildung zum Betriebswirt. Nebenher arbeitet er an seinen Sprachkenntnissen. „Mir ist früh klar geworden: Im internationalen Umfeld kann man seinen multikulturellen Hintergrund als Vorteil nutzen.“

Bald arbeitet er mit in einem globalen Netzwerk für die Materialbedarfsplanung. Er wird Gruppenleiter für die Materialplanung aller „Kältefabriken“, geht 2017 in die Türkei und baut dort die regionale Supply Chain auf. Schließlich leitet er dort eine Abteilung mit über 500 Mitarbeitern. Seit 2020 ist er wieder in Deutschland. Heute steuert er die Materialplanung aller BSH-Werke, die das ganze Spektrum von Hausgeräten produzieren, vom Herd über Kühlschrank und Waschmaschine bis zum Geschirrspüler. Sein Team steuert über 2.000 Lieferanten weltweit!

Seinen Töchtern will er vorleben, wie man Ziele erreichen kann

Doch wenn man mit ihm plaudert, ist da keine Spur von Manager-Sprache, da redet eher der nette Typ von nebenan. Und der hat was gegen Schubladendenken. „Zum Beispiel, wenn Leute sagen: Ohne akademischen Abschluss hast du keine Chance“ – sein Werdegang beweise ja das Gegenteil. Neben Noten und Lebenslauf seien auch andere Dinge wichtig: Wie die Fähigkeit, Stärken zu erkennen und gezielt einzusetzen. Auch ein starker Wille und Veränderungsbereitschaft. Und: Verantwortung zu übernehmen und solide aufzutreten.

Ob ein Migrationshintergrund den Aufstieg erschwert? Nein, er sei heute sogar eher von Vorteil, meint Ayhan Oran. „Ein Hindernis ist leider oft der soziale Status. Und was Eltern und das Umfeld Kindern vorleben und vorleben können.“

Daher freut er sich, seinen drei Töchtern so viel erzählen und mitgeben zu können. Sie lernen etwa, Klavier und Geige zu spielen, und bekommen mit, wie Papa in verschiedenen Sprachen telefoniert oder Kollegen und Freunde aus aller Welt empfängt. Und sie erleben indirekt, wie man mit einem starken Willen und etwas Mut seine Ziele erreichen kann.

Kühlschränke made in Ba-Wü

  • Im BSH-Werk in Giengen werden schon seit 1949 Kühlgeräte hergestellt. Heute laufen an sieben Montagelinien im Schnitt 1,5 Millionen Kühl- und Gefriergeräte pro Jahr vom Band, für bekannte Marken wie Bosch, Siemens, Neff.
  • Moderne Geräte brauchen nur noch so viel Strom wie eine 15-Watt-Glühbirne!
  • Das Logistikzentrum, von dem aus die Geräte in alle Welt verschickt werden, ist größer als 20 Fußballfelder.
Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

Alle Beiträge der Autorin