Zetel. Neues aufbauen, dabei Know-how bewahren – und mit nachhaltigen, regional erzeugten Produkten das klassische Weberhandwerk in die Zukunft führen. Das ist das anspruchsvolle Ziel von Heinz-Jürgen und Monika Gerdes, den Gesellschaftern einer neu gegründeten Wollweberei. Coastland heißt die junge Firma, zu finden ist sie im friesländischen Zetel (nahe Wilhelmshaven).

Durch einen Zufall entdeckte das Ehepaar, er Designer, sie Betriebswirtin, dass im Internet gebrauchte Webstühle zum Verkauf standen: als Hinterlassenschaft der letzten Wollweberei im Norden Deutschlands, der Küper Tuch- und Deckenfabrik. Sie wurde geschlossen, die Mitarbeiter arbeitslos. So ein trauriges Ende wollte das gründungserfahrene Unternehmerpaar nicht zulassen.

Der Maschinenpark läuft mit Lochkarten – das liefert eine bessere Qualität

„Wir wollten verhindern, dass eine alte Kulturtechnik sang- und klanglos ausstirbt“, sagt Geschäftsführer Gerdes beim aktiv-Besuch in Zetel. Im März 2021 kauften die beiden deshalb kurzerhand den Maschinenpark. Wenig später stieg der in der Branche gut vernetzte Wollhändler Wollzeit mit ein. „Wir machen keine Lohnfertigung, sondern vermarkten unsere Wollprodukte unter unserem eigenen Label“, sagt Gerdes, und zwar im Werkverkauf, per Online-Shop sowie im Fachhandel.

„Wir wollten verhindern, dass eine alte Kulturtechnik sang- und klanglos ausstirbt.“

Geschäftsführer Heinz-Jürgen Gerdes

Aktuell produzieren die zwölf Beschäftigten hochwertige Wolldecken aus reiner Schurwolle. Das warme, kuschelig-weiche Material ist in der kühleren Jahreszeit begehrt. Beim ersten Werkverkauf im Dezember 2021 war schon nach wenigen Stunden das gesamte Lager leer – und das bei Preisen ab etwa 180 Euro aufwärts! „Den Kunden gefällt nicht nur die besondere Qualität unserer Decken, auch unsere nachhaltige, sozialverträgliche Fertigung vor Ort kommt an.“ So erklärt Gerdes den Erfolg.

Produziert wird auf alten, mit Lochkarten gesteuerten Maschinen aus den 1970er Jahren: Erbe der geschlossenen Wollweberei. Die langsame, vorsichtige Verarbeitung liefert eine bessere Qualität. Rund 25 Decken schafft ein Webstuhl pro Tag, insgesamt sind bis zu 30.000 Stück pro Jahr möglich.

Die Unternehmensgründer bieten Praktikums- und Ausbildungsplätze an

„Glücklicherweise konnten wir sechs Fachkräfte des Vorgängerunternehmens wieder neu einstellen“, erzählt Gerdes. Inzwischen beschäftigt Coastland einen erfahrenen Weber aus Syrien und einen Schneider. Auch sie bringen wertvolle Fachkenntnisse mit. Beim Einkauf ist das Partnerunternehmen Wollzeit eingebunden, das schon für den Vorgängerbetrieb aktiv war. Gerdes:„Dadurch haben wir viel Know-how im Unternehmen, das ist für uns branchenfremde Gründer besonders wichtig.“

Das Unternehmerpaar bietet auch schon Praktikums- und Ausbildungsplätze an. „Wir haben hier eine richtige Start-up-Mentalität“, so Gerdes. Eigene Ideen der Mitarbeiter sind ausdrücklich erwünscht, das Miteinander im kleinen Betrieb ist sichtlich familiär.

Auch beim Material ist Kreativität gefragt: Die meiste Wolle stammt aus Ländern wie Norwegen, der Mongolei, Argentinien oder Australien. Das soll sich bald ändern. Aktuell experimentiert die wiederbelebte Wollweberei mit neuen Produkten, in denen auch die grobere Schafwolle aus der friesischen Heimat eingesetzt werden soll.

Silke Becker
Autorin

Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.

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