Während der Arbeit mal etwas tragen, heben, ziehen – das ist kein Problem. Auf Dauer aber sollte man das vermeiden: „Ständige Belastungen und falsche Bewegungen schaden über die Jahre der Gesundheit“, weiß Sarah Busse (32), Ergonomie-Spezialistin beim Reifenhersteller Michelin in Bad Kreuznach. Jährlich verlassen bis zu 8,2 Millionen Reifen das Werk. Hilfsmittel und optimierte Prozesse in der Produktion seien da selbstverständlich: „Wir wollen die Arbeit an den Menschen anpassen und nicht den Menschen an die Arbeit“, betont Busse.
Für rund 3.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist die junge Frau zuständig, auch an den Standorten Homburg und Trier. Sorgfältig prüft sie die körperlichen Belastungen für Produktionsmitarbeiter an Maschinen und Anlagen, erfasst Licht, Lärm und Raumtemperatur. Fragt nach psychischen Belastungen bei Einzelarbeitsplätzen ohne direkten Austausch mit Kollegen oder Zeitdruck. Sie nimmt sogar Fahrstunden auf dem Gabelstapler: „Wenn möglich probiere ich alles aus, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie es bei der Arbeit besser gehen könnte.“
Zufriedene, gesunde Belegschaft
Schon den Azubis bringt sie nahe, auf ihre Gesundheit zu achten – bei der Arbeit und in der Freizeit. Seit 2005 setzt der französische Konzern auf Ergonomie-Spezialisten, die eigens in Frankreich ausgebildet werden. Um die Belegschaft möglichst lange fit zu halten, scheut man weder Kosten noch Mühe: „Investitionen in die Ausbildung und Arbeit von Ergonomie-Spezialisten einerseits und in ergonomische Vorrichtungen an den Anlagen und Arbeitsplätzen andererseits bringen allen Vorteile“, erklärt Personalleiterin Heike Notzon. „Zufriedene, gesunde und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen sich mit ihren Leistungen produktiv in das Unternehmen ein.“
Wie effektiv die Arbeit der Ergonomie-Spezialistin ist, zeigen Beispiele in der Abteilung „Cool“. Hier wird eine sogenannte Versiegelungsmischung hergestellt, die spezielle Reifen von innen auskleidet: Beschädigt ein Nagel den Pneu, kann man ihn einfach entfernen – die zusätzliche Schicht versiegelt das Loch. Das Problem in der Produktion: „Bei uns gibt es Restmengen, die in einen Sack fallen“, berichtet Abteilungsleiter Peter Milde (53). 20 Kilo bringt der volle Sack auf die Waage: „Früher haben die Leute den Sack hinter sich hergezogen zu einem Container und ihn über den Rand gewuchtet.“ Schwere Arbeit für das Team, zu dem auch zwei Frauen gehören.
Busse analysierte zusammen mit den Kollegen den Ablauf. Sie planten Verbesserungen, verwarfen sie zunächst: zu kompliziert, zu zeitaufwendig, zu teuer. Dann die zündende Idee: „Jetzt fallen die Reste in einen Mülleimer mit Rädern“, erzählt Milde und strahlt. „Der lässt sich bis zum Container rollen, dort steht eine Hebebühne. Die fährt man hoch, die Last wird automatisch abgekippt.“ Das kommt gut an: „Mir gefällt diese Methode sehr, es geht ja um meine Gesundheit“, bestätigt Anlagenfahrer Serdar Köleoglu (36).
Viele haben gute Ideen zur Verbesserung, da höre ich sehr gerne zu
Sarah Busse
Begeistert sind die Kollegen auch von einem neuen Verfahren, mit dem sie befüllte Container zweifach verschnüren. „Früher sind wir auf den Knien auf dem Boden herumgerutscht, um die Paketbänder unter dem Behälter entlangzuführen“, sagt Hasan Fettes (24). Mehrfach musste er sich beim Verschnüren hoch und runter beugen und auf allen Vieren krabbeln. Und jetzt? Fettes schmunzelt: „Jetzt haben wir eine Maschine, die das für uns macht“, berichtet er und zeigt auf eine hochwertige Umreifungsmaschine. Die verrichtet die Arbeit nahezu allein und auch noch recht schnell. „Eine zeit- und kraftsparende Alternative, einfach großartig“, urteilt Abteilungsleiter Milde, der seinen Leuten gerne die Arbeit erleichtert. „Ich frage mich bei solchen Aktivitäten immer selbst, hätte ich Lust, das jeden Tag zu machen? Sicher nicht!“
Bildschirmhöhe bis Beleuchtung
Ergonomie-Spezialistin Busse hat aber auch die Angestellten in der Verwaltung im Blick. Viele arbeiten wegen Corona im Homeoffice: „Wir haben einen Newsletter mit Tipps entwickelt, als der Lockdown Anfang 2021 kam“, sagt sie. Darin stehen zum Beispiel Hinweise zu Bildschirmhöhe, Sitzhaltung und Beleuchtung. Dazu kommt der dringende Rat, sich ausreichend zu bewegen: „Zu viel sitzen ist nicht gut für die Bandscheibe“, mahnt Busse, die in ihrer Freizeit viel Sport treibt und kürzlich ihren ersten Halbmarathon gelaufen ist. Was ihr noch am Herzen liegt: Miteinander reden. „Ich möchte etwas für die Menschen tun, die hier arbeiten“, sagt sie. „Dazu müssen sie sich öffnen und mir eine Rückmeldung geben. Viele haben auch gute Ideen, was man noch verbessern könnte. Da höre ich sehr gerne zu.“
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Dr. Sabine Latorre war bei aktiv 22 Jahre lang die Spezialistin für Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie – bis zu ihrem Rentenbeginn im April 2024. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Außerdem schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.
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