Für lange Erklärungen hat Ali Sahin gerade keine Zeit. „Wir müssen die Anlage wieder ans Laufen bringen“, sagt er beim aktiv-Besuch freundlich, aber bestimmt. Die riesige Nadelmaschine in der Produktionshalle des Vlies-Herstellers BNP Brinkmann in Hörstel-Bevergern befindet sich in Warteposition. Ein Rohr hatte sich zugesetzt – das Problem war schnell lokalisiert. Sahin muss die Anlage jetzt wieder langsam hochfahren.

Unter seinen wachsamen Augen bewegen sich die Nadelbretter zusehends schneller. Mit ihrer Hilfe entstehen Vliese, die zur Dämmung in Autos oder als Geo-Vliese beim Teichbau und in Dachbegrünungen eingesetzt werden. Nach wenigen Minuten läuft die Anlage wieder unter Volllast. „Geschafft“, seufzt Sahin erleichtert. 

Jeden Samstag war Pauken angesagt – über knapp zwei Jahre

Mit Herausforderungen kennt sich der gelernte Maschinen- und Anlagenführer aus. Tatsächlich waren die letzten zwei Jahre für ihn, seinen Kollegen Robin Schmidt und Kollegin Lea Klümper eine permanent herausfordernde Zeit: Die drei haben sich zum Industriemeister beziehungsweise zur -meisterin Textilwirtschaft weitergebildet – berufsbegleitend! 

„Manchmal habe ich mit dieser Entscheidung gehadert“, gibt Klümper zu. Die 25-jährige gelernte Textillaborantin absolvierte den Unterricht online bei einer privaten Hochschule – jeden Samstag von 8 bis 16 Uhr, 20 Monate lang. Ihre beiden Kollegen fuhren für ihre Weiterbildung zwei Jahre lang jeden Samstag zur IHK nach Münster. Der Betrieb unterstützte die drei, ließ sie etwa bei Nachtschichten früher anfangen, damit sie schon freitags statt erst samstagsfrüh aus der Schicht kamen. „Vor den Prüfungen haben wir sogar in der Nachtschicht gelernt, wenn wenig los war“, erinnert sich Robin Schmidt. Von ihrem Erfolg profitiert nun auch der 110-Mann-Betrieb: Er sichert sich wertvollen Nachwuchs, während die drei an der Karriere arbeiten.

„Wir haben sogar in der Nachtschicht gelernt"

Robin Schmidt

Beruflich gestartet ist das Trio auf ganz unterschiedlichen Wegen. Der 29-jährige Schmidt etwa hat bei BNP Brinkmann die Ausbildung als Produktionsmechaniker gemacht. 2018 hängte er eine interne Weiterbildung zum Teamleiter dran. Mittlerweile kümmert er sich auch um die gewerblichen Auszubildenden im Betrieb. „Vom Fachwissen abgesehen hat mir die Weiterbildung gezeigt, wie wichtig Mitarbeiterführung ist“, sagt Schmidt. Dabei kommt ihm zugute, dass er die Lehre vor Ort gemacht hat und sich gut in die Auszubildenden hineinversetzen kann. Sein Fernziel: eine Meisterstelle im Betrieb.

Ali Sahin (35) hingegen wollte sich mit der Weiterbildung auch sein Durchhaltevermögen beweisen. Der gebürtige Rheinenser begann 2004 seine Lehre zum Maschinen- und Anlagenführer bei Kettelhack in Rheine und kam zunächst über eine Zeitarbeitsfirma zu BNP Brinkmann, 2018 wurde er bei dem Vlies-Hersteller als Maschinenführer fest eingestellt. Sahin: „Die Weiterbildung wollte ich auf jeden Fall schaffen, um beruflich weiterzukommen.“ Jetzt kann er sich vorstellen, in der Produktion und bei der Personalführung mehr Verantwortung zu übernehmen.

Jetzt ist wieder mehr Zeit für Hobbys und Privates

Für Lea Klümper war das Thema Weiterbildung schon im Bewerbungsgespräch bei dem Vlies-Hersteller Thema: „Da hat man bei mir offene Türen eingerannt.“ Langfristig möchte sie gern eine leitende Position in der Qualitätssicherung bekleiden. „Ich übernehme jetzt schon mehr Aufgaben und werde an neue Themen herangeführt“, sagt sie. „Herausforderungen motivieren mich.“

Motivierend sind auch die Perspektiven, die das Unternehmen allen dreien bietet. „Gerade diese Aussichten haben uns geholfen, durchzuhalten“, sagt Schmidt. Denn Durchhänger gab es – das geben alle drei offen zu. Man müsse eben bereit sein, auf Zeit mit Freunden und Familie, auf Freizeit und Hobbys zu verzichten. Aber das ist jetzt vorbei. Sahin kann wieder mehr mit der Familie machen, Fußball-Fan Schmidt kickt wieder regelmäßig – und Pferdeliebhaberin Klümper sitzt wieder öfter im Sattel.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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