Es sind gewaltige Kräfte, die in dem mächtigen Gegenschlaghammer bei der Schmiedag in Hagen wirken. Der neue Hammer hat eine Schlagenergie von bis zu 400 kNm (Kilonewtonmeter), wenn der obere und der untere Hammerbär, wie man die Hammerköpfe nennt, aufeinandertreffen. Circa 45 Tonnen wiegt einer von ihnen. Mit dieser geballten Wucht werden glühende Stahl-Rohlinge – bis zu 750 Kilogramm schwer und 1,20 Meter lang - zu Schmiedeteilen für extreme Anforderungen geformt.

Eine Anlage dieser Größe braucht besondere Vorbereitungen. Für das Fundament wurde vor zwei Jahren eine 14 Meter tiefe Baugrube ausgehoben - im laufenden Betrieb, mitten in der Halle. Eine neue, positive Herausforderung. Ein Jahr zuvor stand hier das Wasser fast zwei Meter hoch – da hatte die Jahrhundertflut den Betrieb rechts und links der Volme voll erwischt.

Der 14. Juli 2021 – er wird wohl als schwärzester Tag in die 200-jährige Firmengeschichte eingehen. Plötzlich und ohne Vorwarnung stieg der Fluss an und überflutete das Gelände. Siebzehn Mitarbeiter schafften es nicht mehr raus und wurden erst am nächsten Morgen von der Bundeswehr im Schlauchboot abgeholt. Glücklicherweise sei kein Mensch zu Schaden gekommen, blickt Geschäftsführer Heinz Klenen zurück.

Zugehörigkeit zur familiengeführten GMH Gruppe (Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe) zahlte sich aus

Aber: „Es war ein Totalschaden.“ Nichts lief mehr. Keine Maschine, kein Computer, nichts. Alles stand unter Wasser, und als das abgelaufen war, blieben Schlamm und Staub, dessen Beseitigung noch Monate in Anspruch nahm.

Denn schnell war trotz der dramatischen Lage klar: „Wir bauen wieder auf.“ Die Zugehörigkeit zur familiengeführten GMH Gruppe (Georgsmarienhütte Unternehmensgruppe) zahlte sich aus. Mit allen Mitarbeitern aus Hagen, großer Unterstützung aus den anderen Standorten der Gruppe und Verständnis der Kunden schaffte man es, dass nach fünf Monaten wieder mit 75-prozentiger Leistung produziert werden konnte.

Neu investiert und Anlagen verbessert

„Es war eine heiße Zeit“, erinnert sich Produktions- und Vertriebsleiter Johannes Braun, der im Sommer die Geschäftsführung übernimmt. Die bei allem Tragischen am Ende doch auch etwas Positives hat. „Wir haben die Chance genutzt, es neu und besser zu machen.“

Auf rund 50 Millionen Euro belief sich der Hochwasserschaden, weitgehend abgedeckt durch Versicherung und Fluthilfe. Weitere 8 Millionen Euro nahm das Unternehmen dann in die Hand, um zusätzlich in eine neue Schmiedehammeranlage zu investieren. Ein Vorhaben, das zuvor schon angedacht war und jetzt schneller als geplant umgesetzt wurde.

Mit einer neuen Reckpresse (Presskraft 630 Tonnen) und dem Gegenschlaghammer hat die Schmiedag ihr Portfolio deutlich erweitert. „Die Schlagkraft liegt noch einmal 25 bis 30 Prozent höher als zuvor“, sagt Klenen. Es gibt nur vier oder fünf Hämmer dieser Art: „Wir sind da schon relativ allein unterwegs.“ Mit Schmiedeteilen von einem Stückgewicht bis zu 750 Kilogramm können spezielle Nachfragen etwa aus der Lebensmittelindustrie oder dem Energiesektor bedient werden, die bisher nicht möglich waren. Auch ein Meter lange Kurbelwellen für Großmotoren sind jetzt kein Problem mehr.

Das Hagener Unternehmen ist breit aufgestellt. Es liefert Schmiederohlinge, aber auch mechanisch bearbeitete Teile bis hin zu lackierten, einbaufertigen Komponenten. Spezialisiert ist es auf die großen Schmiedeteile. „Ab Lkw aufwärts“, erklärt Braun. Pleuel für Schiffsmotoren, Bremsscheiben für Züge, Klemmhebel für Seilbahnen, aber auch einige Tausend Anhängerkupplungen im Jahr werden in Hagen produziert.

Komplexe Teile für anspruchsvollen Einsatz

Der Umstieg auf die E-Mobilität spielt in dieser Größenordnung keine so große Rolle. Der Trend zur künstlichen Intelligenz wirkt sich schon eher aus. „Die Datenmengen erfordern immer größere Datenzentren, die über Notstromaggregate abgesichert werden“, erklärt Braun. „Wir liefern für die Motoren die Pleuel, das ist aktuell ein großer Markt.“ Es sind oft sehr komplexe Teile, die an der Volme geschmiedet werden. „Sie müssen, wie zum Beispiel Schiffsmotoren, hohe Anforderungen erfüllen. Es ist eine aufwendige Fertigungsstrecke“, sagt Klenen.

Gute Ingenieursarbeit ist da gefragt, aber auch die Fertigkeiten in der Produktion. Die Arbeit in der Schmiede ist hart und herausfordernd. Auf 1.280 Grad werden die Stahlrohblöcke erhitzt, von Greifern aus dem Ofen entnommen und nacheinander den Pressen und Schmiedehämmern zugeführt, die ringförmig angeordnet sind. Erfahrung, Wissen und ein gutes Gefühl für das glühende Material sind da gefordert. Die vier- bis fünfköpfigen Teams sind aufeinander eingespielt.

Viele langjährige Mitarbeiter sind im Betrieb unterwegs. Ihr Wissen weiterzugeben, ist ein Anliegen von Ausbildungsleiter Waldemar Karzmarzik. Sieben Auszubildende lernen gerade bei der Schmiedag, darunter eine Frau. Das könnten gerne mehr sein, so Karzmarzik. Es gibt Abteilungen wie die Qualitätssicherung, die Endfertigung oder die mechanische Bearbeitung, wo er sich gut weibliche Azubis vorstellen kann. Aber Nachwuchs- und Fachkräfte zu finden, ist auch für die Schmiedag nicht leicht.

Es ist nicht die einzige Herausforderung, vor der eines der ältesten Hagener Unternehmen steht. Mit den Energiekosten habe man ein Riesenproblem vor der Brust, meint Geschäftsführer Klenen. Einen konkurrenzfähigen Industriestrompreis und Planbarkeit wünscht sich sein Nachfolger Braun. „In Deutschland ist es extrem anstrengend. Solange andere bessere Bedingungen haben, ist es ein hartes Geschäft.“

Klimaneutralität bis 20230 ist das Ziel

Bis 2030 will die GMH Gruppe die Klimaneutralität erreichen. Ein Beitrag dazu hat bei der Schmiedag – ungewollt – auch die Jahrhundertflut geleistet. Der Wiederaufbau hat die Anlagen auf den neuesten Stand gebracht, es kann effizienter gearbeitet werden, der CO2-Ausstoß ist gesunken.

Ein Hochwasser sei trotzdem niemandem zu wünschen, betont Braun. Noch immer arbeitet man an den Folgen. Der Hochwasserschutz ist bereits verbessert worden und soll auf 2,50 Meter erhöht werden. Diese Infrastrukturmaßnahmen werden sicherlich noch zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen.

Erst einmal aber wird im Sommer der 200. Firmengeburtstag gefeiert - mit NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst als Gast. „Es läuft wieder“, sagen Klenen und Braun, für die dann die Staffelübergabe in der Geschäftsführung ansteht: „200 Mitarbeiter haben eine Zukunft.“

Begegnung mit ...

Waldemar Karzmarzik: Der gelernte Dreher ist Einkäufer, Betriebsrat und Ausbildungsleiter.

Lehrwerkstatt steht an dem Gebäude, in dem Waldemar Karzmarzik am 1. September 1986 in seine Dreher-Lehre startete, damals noch bei Hoesch - seine halbe Familie arbeitete da. Die Werkstatt gibt es nicht mehr, Karzmarzik ist noch da, als Einkäufer fürs Vormaterial, Ausbildungsleiter, Betriebsratsvorsitzender. „Mehr Jobs brauche ich nicht“, schmunzelt der 55-Jährige.

Aus der behüteten Werkstatt in die Schmiede: „Das war ein kleiner Schock“, sagt er. Die Zerspanung, vor allem an den damals neuen Bearbeitungszentren, lag ihm mehr. Mit zahlreichen Weiterbildungen kam er voran, kennt sich im Betrieb aus wie kaum ein anderer.

Eigentlich ist er seit 2010 als Betriebsratsvorsitzender komplett freigestellt. „Aber das passte nicht“, erinnert sich Karzmarzik an schwierigere Zeiten: „Ich kann den anderen nichts von Mehrarbeit erzählen, wenn ich selber nicht mitarbeite.“ Einige Sozialpläne musste er aushandeln: „Das war die härteste Phase. Man kennt ja alle.“ Aber es sei notwendig gewesen. Helfen möchte er, den Betrieb nach vorne zu bringen. So wie er auch versucht, seine Kollegen in allen Belangen zu unterstützen. Oft wird er mit privaten Sorgen konfrontiert - auch die Aufgaben eines Betriebsrats haben sich gewandelt. „Aber es macht extrem Spaß.“

Persönlich

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Nach der Lehre war ich viele Jahre in der mechanischen Bearbeitung und habe mich dann in Rohmaterial-Disposition und -Einkauf eingearbeitet.

Was reizt Sie am meisten?

Die täglich neuen Herausforderungen und das Suchen nach Problemlösungen. Das positive Gefühl am Ende des Tages, etwas bewegt zu haben.

Worauf kommt es an?

Flexibilität in der Arbeitszeit und beim Finden von Lösungen. Ein gutes Netzwerk in der Stahlwelt.

Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, in Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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