Die Werkzeuge, die Mario Esser auf die Welle schiebt, haben Gewicht. Bis zu 8 Kilogramm schwer sind die kreisrunden Messer, mit denen später der dünne Bandstahl in schmale Streifen geschnitten wird. Hochpräzise, wie es zu den Qualitäten gehört, die das Reinhold Mendritzki Kaltwalzwerk in Plettenberg auszeichnet. 20 bis 25 exakt angeordnete Messer pro Welle – zwei werden gebraucht - sorgen in der Längsteilanlage für den akkuraten Schnitt. Händisch werden sie aufgeschoben und wieder abgebaut. „Bis zu zehnmal am Tag“, erklärt Esser. Da wissen er und seine Kollegen am Ende, was sie geschafft haben.

Bekannt war das im Betrieb. Wie groß die Belastung tatsächlich ist, wurde richtig bewusst, als einmal präzise drauf geschaut wurde. Mendritzki nahm an einem Kooperationsprojekt mit zehn anderen Unternehmen aus der Kaltwalz- und Gießerei-Industrie (KaWaGi) teil, das die Gefährdungsbeurteilung psychischer Arbeitsbelastungen in den Fokus rückte.

„Es ging um altersgerechtes Lernen und Arbeiten. Wir haben einen relativ hohen Altersschnitt und belastende Arbeitsbedingungen“, erklärt Christian Mundt, Personalleiter Mendritzki Holding. „Unsere Mitarbeiter möchten wir aber so lange wie möglich halten.“ Denn ohne deren Können geht es nicht.

Der Betrieb sieht sich als flexibelstes Kaltwalzwerk Europas. „Wir planen um, wenn nötig, und schauen, dass Kundenwünsche schnellstmöglich umgesetzt werden können“, betont Ralf Althoff, kaufmännischer Leiter der Mendritzki Holding.

Auf jeden Arbeitsplatz kommt es an

Die Stähle sind vor allem in der Automobil-Industrie gefragt. Sie werden aber auch zu Möbelscharnieren oder Messern in der Landwirtschaft weiterverarbeitet. Um erfolgreich zu bleiben, kommt es gerade in den aktuell schwierigeren Zeiten auf jeden Mitarbeiter an.

Und so schauten sich im Rahmen des KaWaGi-Projekts kleine Teams auch jeden Arbeitsplatz an den Standorten Plettenberg und Bochum intensiv an, befragten die Mitarbeiter, trafen sich zu Workshops. Rund 50 Maßnahmen für gesundheitsförderliche Arbeitsplätze wurden anschließend umgesetzt. Teils reichten schon kleine Verbesserungen wie Einlagen oder die Reparatur einer ungenutzten Palettenhebehilfe. Auch beim Messerbau sind die Ergebnisse spürbar: Die Werkzeuge wurden durch Bohrungen oder Kunststoffanteile leichter gemacht, eine Vorrichtung übernimmt nun das Weiterschieben auf der Welle.

Vom Projekt profitieren nicht nur die knapp 300 Mitarbeiter. Es war auch ein entscheidender Faktor beim Deutschen Demografie-Preis, den das Kaltwalzwerk in der Kategorie „Vorbildlich bei Gesundheit“ 2023 erhielt. Ein ganzes Bündel an Aktivitäten wurde da gewürdigt.

Die Qualifizierung der Führungskräfte unter dem Aspekt Gesundheit zum Beispiel oder das betriebliche Eingliederungsmanagement. „Nach einem längeren Ausfall war ein Mitarbeiter früher einfach wieder da und hat weitergearbeitet wie vorher“, erklärt Mundt. Jetzt gibt es ein verbindliches Vorgehen. Ein Flyer informiert zum Thema und ein Integrationsteam aus Personalabteilung und Betriebsrat kümmert sich im direkten Kontakt.

Viele Mitarbeiter nutzen zusätzliche Angebote wie Krankenzusatzversicherung oder Gesundheitsprüfung, nehmen am Firmenlauf teil oder leasen E-Bikes. Als besonders innovativ wurde beim Demografiepreis außerdem die interne Kommunikation hervorgehoben.

Seit einem Jahr versorgt ein dreiköpfiges Team allwöchentlich über den Podcast „Mendritzki ON AIR“ die Belegschaft mit Infos zu den unterschiedlichsten Themen. Es stellt Mitarbeiter vor, berichtet über Neuigkeiten aus den Standorten oder vom Betriebsrat, gibt Gesundheitstipps. Rund 400 Mal wird jede Episode mittlerweile angeklickt.

Ergänzt wird der Podcast durch die Mendritzki-App, in die neben Schichtplanung, digitaler Abrechnung oder Krankmeldungen auch Mitarbeiterangebote und Bildergalerien eingestellt werden können. Seit Neuestem rundet ein Newsletter das Info-Angebot ab.

Für das Kaltwalzwerk ist das alles mehr als gutes Arbeitgebermarketing. „Es ist gelebte Wertschätzung“, sagt Mundt. Man sieht sich da auch in der Nachfolge des Firmengründers Reinhold Mendritzki. Eine Stiftung steht heute hinter der Firmengruppe mit rund 900 Mitarbeitern weltweit. Mit dem Anspruch, alle mitzunehmen, Bindung und Transparenz zu schaffen, sieht sich das Unternehmen für die Zukunft gut aufgestellt.

Begegnung mit Chef Ralf Althoff

Wer sollte in dieser „Begegnung mit“ auftauchen? Im Betrieb ist man sich einig: Ralf Althoff. Authentisch, das beste Beispiel, dass man auch ohne Studium was werden kann, von allen geschätzt: Der kaufmännische Leiter der Mendritzki Holding hat in seinen 17 Jahren im Betrieb Karriere gemacht und sich viel Achtung erworben.

Gestartet ist er an der Hauptschule Herscheid - der einzigen Schule, die für ihn erreichbar war. Ein Lehrer hat ihn dort besonders gefördert und gefordert: „Ich hatte viel Glück.“ Fachabi, Steuerfachangestellter und dann die „Abwerbung“ durch den Mandanten Mendritzki. Es war ein Schritt in eine etwas unsichere Zukunft für den jungen Familienvater. „Das ganze Betriebliche hat mir gefehlt“, sagt er: „Aber wenn man offen drangeht und bereit ist, zuzuhören, geht das.“ Er vertraut den Mitarbeitern, das spüre man, sagen die. „Ich maße mir nicht an, etwas besser zu wissen als die, die das jeden Tag machen“, meint Althoff. Vermutlich überzeugt auch das: „Ich arbeite viel und gerne.“ Und das nicht nur in der Firma. Jäger im Hegering, freiwillige Feuerwehr, Lions Club, Ukraine-Hilfe: Althoff ist einer, der anpackt.

Zur Person

  • Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
    Als Steuerfachangestellter habe ich die Firma extern betreut und bin dann als Leiter Rechungswesen in den Betrieb gewechselt.
  • Was reizt Sie am meisten?
    Hier kann man etwas bewegen, wir haben flache Hierarchien. Es braucht nicht Wochen, um etwas zu entscheiden.
  • Worauf kommt es an?
    Vertrauen aufbauen und eine offene Tür haben. Ein wertschätzender Umgang auf allen Ebenen ist wichtig.
Hildegard Goor-Schotten
Autorin

Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie außerdem bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten

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