Berlin. Mutterschaftsgeld, Elterngeld, Krankengeld und nicht zuletzt auch Arbeitslosengeld: Wer so eine Lohnersatzleistung bekommt, dem steht deswegen oft eine heftige Steuernachzahlung im Folgejahr ins Haus. Das verblüfft viele Betroffene – schließlich gelten die erwähnten Sozialleistungen ja allesamt als „steuerfrei“.

Aber das mit der Steuerfreiheit stimmt eben leider nicht ganz. Das liegt am „Progressionsvorbehalt“. Er gilt laut Gesetz für alle möglichen Zahlungen, zum Beispiel auch für das Kurzarbeitergeld oder das Insolvenzgeld – und auch für Entschädigungen bei Verdienstausfall nach dem Infektionsschutzgesetz. Dieser Mechanismus bewirkt, dass das normale Einkommen mit einem etwas höheren Steuersatz belastet wird als sonst.

Progressiver Einkommensteuertarif belastet höhere Einkommen stärker

Sozialpolitischer Hintergrund: Wer mehr verdient, zahlt in unserem Sozialstaat dafür auch mehr Steuern – nicht etwa nur in Euro und Cent, sondern als steigende Quote der Einkünfte. Dafür sorgt der „progressive“ Einkommensteuertarif, der zu mehr Verteilungsgerechtigkeit führen soll. Ein Bürger mit 50.000 Euro steuerpflichtigem Jahreseinkommen wird also überproportional stärker belastet als einer mit 40.000 Euro. Was aber soll gelten, wenn jemand in einem Jahr 40.000 Euro verdient und außerdem 10.000 Euro steuerfreies Elterngeld bezogen hat?

Die amtliche Antwort, historisch gewachsen – und in sich nicht völlig schlüssig: Durch so eine Lohnersatzleistung steigt die „steuerliche Leistungsfähigkeit“ des Empfängers. Deswegen wird er auch bei der Einkommensteuer etwas stärker belastet, als wenn er die Sozialleistung nicht bekommen hätte.

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Der Progressionsvorbehalt bewirkt, dass das normale Einkommen im Nachhinein einem höheren Steuersatz unterworfen wird

In der Praxis funktioniert das dann beispielsweise wie folgt: Der Fiskus addiert gedanklich die 10.000 Euro Elterngeld zu den 40.000 Euro Einkommen – besteuert dann aber nicht etwa die kompletten 50.000 Euro mit dem normalen Steuersatz, sondern wendet auf die 40.000 Euro Einkommen den für 50.000 Euro geltenden Steuersatz an, der etwas höher ist. Das muss man jetzt vielleicht zweimal lesen, um es zu verstehen, dann kann man sich wundern, die Berechnung läuft aber tatsächlich so.

Und die nachträgliche steuerliche Belastung, auf die man sich zum Beispiel als Kurzarbeiter einstellen muss, ist erheblich: Je nach Fall ungefähr ein Siebtel bis ein Zehntel zum Beispiel des Kurzarbeitergelds, des Arbeitslosengelds oder auch des Elterngelds geht nachträglich ans Finanzamt. Diese grobe Faustregel führen überschlägig Online-Steuerrechner vor Augen, wie sie zum Beispiel das Bayerische Landesamt für Steuern oder die Akademische Arbeitsgemeinschaft anbieten.

Ob eine Lohnersatzleistung tatsächlich zu einer Steuernachzahlung im Folgejahr führt, hängt von vielen Faktoren ab

Trotzdem muss man deswegen nicht immer mit hohen Nachzahlungen rechnen! Ob es dazu kommt, hängt unter anderem davon ab, wie lange die Kurzarbeit dauert, welchen Umfang sie hat und wie viel Lohnsteuer der Betrieb schon abgeführt hat. Eine Nachzahlung ist laut Bund der Steuerzahler wahrscheinlich, wenn man sehr lange Kurzarbeitergeld bezogen hat. Oder wenn man als Single in Teil-Kurzarbeit war, also zugleich sowohl Lohn als auch Kurzarbeitergeld bekommen hat.

Nun bekommen ja sehr viele Arbeitnehmer durch ihre Steuererklärung regelmäßig Hunderte Euro Steuern zurück, zum Beispiel, weil Sie einen recht langen Arbeitsweg haben oder eine doppelte Haushaltsführung geltend machen können. In solchen Fällen wird der Progressionsvorbehalt dann oft dazu führen, dass die gewohnte Steuererstattung geringer ausfällt oder gar eine kleine Nachzahlung fällig wird.

Mehr als 410 Euro Lohnersatzleistung im Jahr: Dann ist die Steuererklärung Pflicht!

Vor den bitteren Folgen des Progressionsvorbehalts kann man sich übrigens nicht drücken. Wer in einem Kalenderjahr mehr als 410 Euro an Lohnersatzleistungen bekommen hat, muss im Folgejahr zwingend eine Steuererklärung abgeben – das steht so im Einkommensteuergesetz.

Wobei es dann doch noch einen erlaubten Trick gibt, mit dem Ehepaare die unverhoffte nachträgliche Steuerlast mindern können: Wenn mindestens ein Partner nennenswerte Lohnersatzleistungen bekommen hat, kann eine Einzelveranlagung ausnahmsweise günstigere Ergebnisse bringen als die gewohnte Zusammenveranlagung. Mit gängigen Steuerprogrammen für den PC lässt sich das leicht überprüfen.

Und was man derzeit auch noch wissen sollte: Überhaupt nicht vom Progressionsvorbehalt betroffen ist die Inflationsausgleichsprämie von bis zu 3.000 Euro. Wenn der Betrieb so eine Sonderzahlung zusätzlich zum Lohn überweist, muss diese daher auch nicht in der Steuererklärung angegeben werden.

Arbeitsrecht: Nach „Kurzarbeit null“ gibt es weniger Urlaub

Für jeden vollen Monat, den ein Beschäftigter in „Kurzarbeit null“ ist, kann der Betrieb den Urlaubsanspruch um ein Zwölftel kürzen. So hat jedenfalls das Landesarbeitsgericht Düsseldorf im Fall einer Verkaufshilfe entschieden (12. 3. 21, 6  Sa  824/20). Die Frau arbeitet als Teilzeitkraft in der Systemgastronomie und war 2020 infolge der Corona-Krise für mehrere Monate komplett in Kurzarbeit.

Das Gericht teilt zu dem Urteil mit: „Erholungsurlaub bezweckt, sich zu erholen – dies setzt eine Verpflichtung zur Tätigkeit voraus.“ Während der Kurzarbeit sind aber die „beiderseitigen Leistungspflichten“ des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers aufgehoben: Wo nicht gearbeitet wird, gibt es eben auch keinen Erholungsurlaub. Was übrigens, wie das Landesarbeitsgericht vorsorglich betont, auch der Europäische Gerichtshof so sieht. 

Thomas Hofinger
Chef vom Dienst aktiv

Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.

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