Saarbrücken. Sie stecken im Autofokus von Handykameras. In flexiblen Brillengestellen. Und in Tragflächen von Flugzeugen: Formgedächtnis-Metalle. Solche Legierungen wie Nickel-Titan, kurz Nitinol, haben besondere Eigenschaften. Sie sind zum Beispiel superelastisch. Und sie haben im Gegensatz zu normalen Werkstoffen zwei Grundformen – eine bei hoher und eine bei niedriger Temperatur.

Um sich das mal vor Augen zu führen, braucht man nur eines der vielen Youtube-Videos über die „magische Büroklammer“ zu googeln: Verdreht man eine Büroklammer aus Nitinol und erhitzt sie dann, springt sie wie von Zauberhand zurück in die alte Form. Der Draht „erinnert“ sich quasi daran!

Wegen ihrer Flexibilität werden „Memory-Metalle“ wie eben Nitinol in vielen Produkten eingesetzt. Die Idee, sie auch zum Wärmen oder zum Kühlen zu nutzen, ist dagegen recht neu: „Wir forschen seit etwa zehn Jahren daran“, sagt Professor Paul Motzki, Ingenieur an der Universität des Saarlandes. „Durch die Klimadebatte hat das Thema jetzt Fahrt aufgenommen.“

Klimatechnik: Kühlschränke könnten bald noch energiesparender kühlen

Mittelpunkt dieser Forschung ist das Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik (ZeMA) in Saarbrücken. Hier arbeiten rund 150 Wissenschaftler zusammen mit Unternehmen an Innovationen wie der sogenannten Elastokalorik. Elastos, das bedeutet im Griechischen: verformbar. Calor ist das lateinische Wort für Wärme. Zusammen beschreiben die Begriffe das Phänomen ganz gut: Verformt man Formgedächtnis-Legierungen, heizen sie sich auf. Bringt man sie in ihre alte Form zurück, entweicht die Wärme wieder. „Der Unterschied kann bis zu 20 Grad Celsius betragen“, erklärt Motzki.

Beim aktiv-Besuch im ZeMA demonstriert er die Sache an einem Prototyp. Der röhrenförmige Apparat ist das Ergebnis langjähriger Forschung. Daran befestigt ist ein zwischen zwei Klemmen gespannter Draht aus Nitinol. „Fassen Sie mal an“, sagt Motzki und zieht das Metall in die Länge. „Spüren Sie die Wärme? Jetzt entlaste ich den Draht wieder: Er wird sofort kälter! Das ist der Effekt der Elastokalorik.“

Mit Drähten wie diesem kann man Wärme, aber auch Kälte erzeugen. Zum Beispiel in dem Prototyp, in dem viele Drähte auf eine Spule gewickelt sind und die gekühlte Luft über ein Rohr weitergeleitet wird. „Auf diese Weise könnte man auch einen Kühlschrank oder einen ganzen Raum kühlen“, sagt der Ingenieur.

Und zwar äußerst effizient: „In Studien erreichen wir schon den fünffachen Wirkungsgrad herkömmlicher Kühlmethoden.“ Das Formgedächtnis des Materials lässt sich auch in die andere Richtung nutzen: Dabei wird ein Draht erwärmt und verformt sich dadurch. „Diese Deformation kann man in Bewegung überführen und so zum Beispiel ein Ventil öffnen“, erklärt Ingenieurin Sophie Nalbach, die auch am ZeMA forscht. Die Technologie bietet einige Vorteile: Könnte man mit Nitinol heizen, kühlen oder Roboter antreiben, würde das viel Energie sparen. Auch potenziell klimaschädliche Kältemittel braucht es damit nicht.

Schon in fünf Jahren könnte es marktreife Produkte geben

Die Bundesregierung hat das Potenzial erkannt und einem Forschungsverbund aus ZeMA, Saar-Uni und weiteren Partnern gerade eine 17 Millionen Euro schwere Förderung bewilligt, für die Entwicklung von Elastokalorik-Anwendungen. Das Saarland werde bald zum „Nabel der Welt der Klimatechnik“, jubelte die „Saarbrücker Zeitung“: Tausende Arbeitsplätze könnten entstehen. Etwa in der Stahl- und Metall-Industrie, falls der Bedarf an den Nitinol-Produkten steigt.

Ob das so kommt? „Wir müssen noch einige Probleme lösen“, sagt Professor Motzki. „Aber ich denke, dass schon in fünf Jahren erste Produkte auf dem Markt sind.“

Elastokalorik im Video

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Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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