Berlin. „Aus China kommen alle Rohstoffe, die wir für Energiewende und Elektromobilität benötigen“, sagt Peter Buchholz, Leiter der Deutschen Rohstoffagentur (Dera) in Berlin. „Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht von einer Abhängigkeit bei Öl und Gas in neue Abhängigkeiten begeben.“
Wirtschaft und Politik sind zusehends besorgt, wenn es um Deutschlands Grundstoffversorgung geht. Kein Wunder angesichts der Folgen von Putins Angriff auf die Ukraine und nach den massiven Lieferausfällen während Corona. Doch die Frage, wie wir weiteren Materialengpässen und Produktionsstopps entgehen können, ist nach wie vor ungelöst. Siegfried Russwurm, Präsident des Industrieverbands BDI, warnte jüngst eindringlich: „Deutschland ist, wenn es um Rohstoffe geht, erpressbar.“
Neue Materialengpässe und Produktionsstopps vermeiden
Die Zeit, Lösungen zu finden, drängt. Denn für praktisch alle Schlüsseltechnologien werden Rohstoffe benötigt, die knapp, teuer und begehrt sind. In den kommenden 30 Jahren dürfte sich der Bedarf an einzelnen Mineralien und Metallen verdreißigfachen, erwartet die Weltbank.
„Deutschland ist bei Rohstoffen erpressbar“
Ein Beispiel sind seltene Erden. Sie sind für die Herstellung etwa von Elektromotoren, Smartphones oder Computern unverzichtbar. Oder Wismut für die Stahl- und Chemie-Industrie. Beide Materialien bezieht Deutschland fast ausschließlich aus China. Aus Guinea dagegen kommen 93 Prozent der Aluminiumerze; sogar 100 Prozent der Wolframerze liefert Mexiko. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young für das Bundeswirtschaftsministerium. Die Studie enthält eine lange Liste weiterer sogenannter kritischer Rohstoffe. Derzeit muss Deutschland 39 der insgesamt 46 Rohstoffe importieren, von denen die Experten sagen: Die sichere Versorgung damit ist von größter Bedeutung für Deutschland.
Bei der Weiterverarbeitung von Erzen und Mineralien ist die Lage oft sogar noch fordernder: „Knapp 50 Prozent der weltweiten Raffinade-Produktion kommen aus China“, meldet die Deutsche Rohstoffagentur. So wird Lithium zwar hauptsächlich in Chile und Australien gefördert – doch zur Weiterverarbeitung wird es zumeist nach Fernost verschifft. Von dort gelangen dann die Zwischen- und Endprodukte nach Europa.
Zahl der Lieferländer muss erhöht werden
Vor einseitigen Abhängigkeiten warnen Kenner der Materie schon seit Längerem. Professorin Lisandra Flach, Leiterin des Ifo-Zentrums für Außenwirtschaft, sagt: „Es sollten größere Anstrengungen unternommen werden, die Zahl der Bezugsländer zu erhöhen. Alles spricht für eine schnelle Verstärkung bereits bestehender Handelsbeziehungen zu anderen Ländern.“ Im Fall der seltenen Erden könnten das beispielsweise Thailand und Vietnam sein. Bei anderen kritischen Rohstoffen empfehlen sich unter anderem Argentinien, Brasilien, die USA und Australien.
„Mit einem besseren Zugang zu Importrohstoffen allein ist es allerdings nicht getan“, gibt Russwurm zu bedenken. Der BDI-Chef fordert eine „viel strategischere Rohstoffpolitik“ von Deutschland. Bislang sind die Unternehmen hierzulande weitgehend auf sich selbst gestellt, wenn es darum geht, etwa die Beschaffung und Vorratshaltung zu regeln.
Wichtig sei auch, so Russwurm, dass mehr heimische Rohstoffe gefördert werden und dass die Kreislaufwirtschaft gestärkt wird. Tatsächlich liegen die Recyclingquoten vieler Mineralien und Metalle bislang nur im niedrigen einstelligen Bereich.
Trotzdem – auf Rohstoffimporte verzichten kann Deutschland künftig nicht. Da können wir uns noch so ins Zeug legen.
Deutlich wird das am Beispiel Lithium: Es wird etwa für Autoakkus benötigt – der Bedarf wächst also mit der Elektromobilität rasant. Berechnungen der Deutschen Rohstoffagentur zeigen: Selbst wenn die heimische Förderung bis zum Jahr 2030 zu Hochform aufläuft, wäre damit eine Eigenversorgung nur zu 15 bis 25 Prozent möglich. Ein weiteres Viertel könnte durch verstärktes Recycling hinzukommen. In jedem Fall muss auf absehbare Zeit immer noch über die Hälfte des Lithiums anderswo eingekauft werden.
Werden wir im Rennen um Rohstoffe abgehängt?
Während hierzulande die Diskussion um künftige Versorgungswege läuft, gewinnt das weltweite Rennen um Rohstoffe immer weiter an Tempo. Um dabei ihren Schnitt zu machen, haben einzelne Förderländer wie China oder Mexiko bereits begonnen, ihre Gesetze für den Bergbausektor und Handelsverträge zum eigenen Vorteil abzuändern.
Das alles sind auch für den Verband der Automobilindustrie Gründe genug, Alarm zu schlagen: Die Energie- und Rohstoffmärkte würden weltweit gerade weitgehend ohne uns verteilt, warnt Deutschlands wichtigster Industriezweig. „Wenn Europa und Deutschland weiter so langsam agieren, drohen wir leer auszugehen.“
Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.
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