Die Nachricht kam kurz vor Weihnachten, und sie klang so sensationell, dass weltweit darüber berichtet wurde. In einer kalifornischen Forschungseinrichtung, hieß es, sei ein historischer Durchbruch in Sachen Kernfusion gelungen. Nach Angaben von Energieministerin Jennifer Granholm wurde beim Verschmelzen von Atomkernen erstmals mehr Energie gewonnen als verbraucht. „Einfach ausgedrückt“, so die Politikerin, „ist dies eine der beeindruckendsten wissenschaftlichen Leistungen des 21. Jahrhunderts.“
Auch der deutsche Physik-Professor Thomas Klinger sprach von einem Durchbruch und gratulierte den US-Kollegen. Allerdings sei es für Jubel noch ein bisschen früh, denn die technologischen Hürden seien weiterhin „gigantisch“.
Klinger muss es wissen, denn er leitet als Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) die Forschungsanlage Wendelstein 7-X (W7-X) in Greifswald. Sein Institut erforscht die physikalischen Grundlagen für ein Fusionskraftwerk, das Energie aus der Verschmelzung von leichten Atomkernen gewinnen soll.
Die Arbeiten des IPP sind eingebettet in das Europäische Fusionsprogramm. Mit mehr als 1.000 Beschäftigten ist das IPP eines der größten Zentren für Fusionsforschung in Europa. Und Wendelstein 7-X ist die größte und modernste Anlage ihrer Art weltweit.
Ein Magnetkäfig für das Plasma
Rund 450 Fachkräfte arbeiten hier, und einer von ihnen ist Ralf Kleiber. Der promovierte Physiker führt regelmäßig Gäste durch die Einrichtung und versteht es, die komplizierte Materie äußerst anschaulich und verständlich zu erklären.
Als Erstes räumt er mit einem weit verbreiteten Missverständnis auf. „Wendelstein 7-X ist kein Reaktor“, sagt er. „Wir arbeiten zwar mit Plasma, aber Fusion findet hier nicht statt. In unserer Anlage wird erforscht, wie man ein Hochtemperaturplasma mit einem Magnetfeld optimal – also bestens wärmeisoliert, stabil und im Dauerbetrieb – einschließen kann“, sagt Kleiber. „Das ist die eigentliche Mission.“
Wie ambitioniert dieses Ziel ist, wird klar, wenn man die Dinge im Detail betrachtet. Anders als in einem gängigen Atomkraftwerk, das seine Energie aus der Spaltung von Atomkernen bezieht, findet im Fusionsreaktor ein Verschmelzungsprozess statt – aus zwei Kernen wird dabei einer.
Heißer als das Innere unserer Sonne
Gleiches geschieht in der Sonne, die überwiegend aus Wasserstoff besteht. In ihrem Inneren, wo eine Temperatur von 15 Millionen Grad Celsius herrscht, fusionieren pro Sekunde rund 600 Millionen Tonnen Wasserstoff zu 596 Millionen Tonnen Helium. Bei diesem Vorgang wird eine unfassbare Menge an Energie frei, die unsere Erde erwärmt und beleuchtet.
Diesen Prozess will man im Fusionsreaktor nachahmen. Weil das Fusionsfeuer aber erst bei Temperaturen von mehr als 100 Millionen Grad zündet, darf der Brennstoff im Reaktor – ein dünnes Wasserstoff-Plasma – auf keinen Fall mit den Gefäßwänden in Kontakt kommen, denn dann würde das heiße Gas aus Ionen und freien Elektronen schlagartig abkühlen. Dieses Problem löst man mit starken Magnetfeldern, die dafür sorgen, dass das Plasma nahezu berührungsfrei im Inneren einer ringförmigen Vakuumkammer verbleibt.
Zwei verschiedene Reaktortypen
Für dieses Prinzip gibt es zwei unterschiedliche Ansätze, die derzeit beide noch in der Erforschung sind: Stellarator- und Tokamak-Anlagen. Die beiden Typen unterscheiden sich vor allem im Aufbau des magnetischen Feldes, mit dem das Plasma eingeschlossen wird: Bei Stellaratoren entsteht der Magnetfeldkäfig ausschließlich durch äußere Spulen, bei Tokamaks wird ein Teil des Feldes durch einen im Plasma fließenden elektrischen Strom erzeugt.
Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik ist das einzige Fusionszentrum weltweit, das – unterstützt von den Helmholtz-Zentren Jülich und Karlsruhe sowie von Universitäten und Unternehmen aus der ganzen Welt – beide Typen untersucht: in Garching bei München den Tokamak ASDEX Upgrade und in Greifswald den Stellarator Wendelstein 7-X. Dies ermöglicht einen direkten Vergleich der beiden Konzepte.
Gesamtkosten von 1,3 Milliarden Euro
Die Gesamtkosten für das Projekt Wendelstein belaufen sich nach bisherigen Angaben auf 1,3 Milliarden Euro, die Kosten für die Anlage selbst liegen bei 460 Millionen Euro. Finanziert wird das Vorhaben von Bund, Land und der EU. Allein 2022 förderte Mecklenburg-Vorpommern das Vorhaben mit rund 5,5 Millionen Euro, die Unterstützung des Bundes lag in diesem Zeitraum bei rund 52 Millionen Euro.
Eine Menge Geld, aber es hat sich seit der Grundsteinlegung im Sommer 1997 auch einiges getan. Ralf Kleiber: „Nachdem die Hauptmontage 2014 abgeschlossen war, wurde am 10. Dezember 2015 das erste Plasma erzeugt. Im Herbst vergangenen Jahres wurden dann die letzten Um- und Ausbaumaßnahmen abgeschlossen, und damit sind wir nun endlich voll arbeitsfähig.“
In dieser finalen Phase wurden unter anderem 120 Divertor-Module installiert – gekühlte Hightech-Kacheln auf der gekrümmten Innenwand der ringförmigen Kammer, die die vom Plasma getragenen Energiemengen und Teilchen abführen und somit deren Kontakt mit der Gefäßwand sowie die Verunreinigung des Plasmas verhindern. Dafür müssen die Prallplatten hohe Temperaturen aushalten.
Für die Divertoren und andere Komponenten von Wendelstein 7-X wurden insgesamt 6,8 Kilometer Kühlrohre gefertigt, isoliert, eingepasst und verschweißt. Über 650 voneinander unabhängige Kühlkreisläufe führen die anfallende Wärme in der Konstruktion ab.
„Mit der verbesserten Ausstattung wollen wir in wenigen Jahren Hochleistungsplasmen mit bis zu 18 Gigajoule Energieumsatz über eine halbe Stunde stabil halten“, so Thomas Klinger. „Jetzt geht es darum, dass wir uns Schritt für Schritt an dieses Ziel herantasten und mehr über den Plasmabetrieb bei höheren Energien lernen, ohne die Maschine zu stark zu belasten.“
Die Spulen brauchen minus 270 Grad Celsius
Eine entscheidende Rolle dabei spielen die 50 ringförmigen Spulen, die den Magnetkäfig für das Plasma erzeugen und eine Größe von rund 3,5 Meter haben. Sie bestehen – anders als übliche Spulen – nicht aus Kupfer, sondern aus einer Niob-Titan-Legierung.
Kleiber: „Die starken Magnetfelder, die wir brauchen, lassen sich nur mit Spulen aufbauen, die supraleitend sind. Das ist bei unserem Material der Fall, wenn es auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt heruntergekühlt wird, also rund minus 270 Grad Celsius.“ Erreicht wird das mit flüssigem Helium, das während des Experimentbetriebs als Kühlmittel durch die Spulen fließt.
Drei Heizsysteme für das Plasma
Ähnlich hoch ist der Aufwand für das Aufheizen des Plasmas. Die erforderliche Temperatur von mehr als 100 Millionen Grad Celsius lässt sich nur dadurch erreichen, dass drei verschiedene Systeme gleichzeitig zum Einsatz kommen: eine Mikrowellen-Elektronenheizung mit einer Leistung von 10 Megawatt (MW), eine Radio- wellen-Ionenheizung mit maximal 1,5 MW und eine Neutralteilchen-Injektion mit einer Heizleistung von 7 MW.
Max-Planck-Generalsekretärin Simone Schwanitz zeigte sich begeistert, als sie die Greifswalder Anlage Anfang August 2022 besuchte. Für sie ist Wendelstein 7-X ein „Meisterwerk der Grundlagenforschung und auch der Ingenieurskunst“.
So funktioniert die Zukunftsenergie Kernfusion
100 Millionen Grad Celsius braucht es, um die Wasserstoffatome Deuterium und Tritium im Reaktor fusionieren zu lassen. Bei dieser Hitze entsteht Plasma, ein heißes Gas, das aus Ionen und Elektronen besteht. Die Kerne prallen aufeinander und verschmelzen, dabei entstehen ein Heliumkern und ein Neutron. Die Bewegungsenergie des Neutrons wandelt sich beim Aufprall auf die Wand in Wärmeenergie um.
Das Plasma wird durch starke Magnetfelder in der Schwebe gehalten.
Die ringförmige Anlage ist mit zahlreichen Instrumenten und anderen Vorrichtungen bestückt.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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