Bochum. Einsamkeit nimmt in Deutschland immer mehr zu. So fühlt sich jeder Sechste oft einsam, zeigen neuste Befragungen des Statistischen Bundesamtes. Das kann viele Ursachen haben, weiß auch Maike Luhmann. Die Professorin für Psychologie und Expertin für Einsamkeitsforschung an der Ruhr-Universität Bochum untersucht derzeit, welchen Einfluss Arbeit auf Einsamkeit hat. aktiv hat sie dazu befragt.
Frau Professor Luhmann, wieso fühlen sich immer mehr Menschen einsam?
Menschen fühlen sich oft einsam, wenn die sozialen Kontakte und Beziehungen, die sie sich wünschen, nicht vorhanden sind. Sie haben also weniger enge Freunde oder Beziehungen, als ihnen guttun würde.
Also ist Alleinsein ein Problem?
Nein. Es ist wichtig, zu unterscheiden. Unter allein sein versteht man erst mal nur den Zustand der Abwesenheit anderer Menschen, was sich nicht zwangsläufig schlecht anfühlen muss. Einsamkeit, so wie es die Wissenschaft definiert, ist aber ein negativer, unangenehmer Zustand.
Woran liegt es, dass Menschen weniger Beziehungen haben und dadurch einsam sind?
Gesundheitliche Einschränkungen verringern etwa die Möglichkeiten, am sozialen Leben teilzuhaben. Auch Aspekte wie Einkommen und Armut sind Risikofaktoren. Bei Arbeitslosen besteht eine erhöhte Gefahr für Einsamkeit. Persönliche Eigenschaften spielen auch eine Rolle. Zurückhaltende Menschen sind tendenziell einsamer als solche, die offener und geselliger sind.
Im Job treffe ich ja auf viele Leute. Kann Arbeit also helfen?
Das ist eine interessante Frage, die wir derzeit in einem neuen Projekt erforschen. Wir schauen uns die Bedeutung von Arbeit für Erwerbsfähige genauer an. Unsere Grundannahme ist, dass Arbeit sowohl Risiko- als auch Schutzfaktor zugleich sein kann. Erstaunlich ist, dass sowohl in der Einsamkeits- als auch in der Arbeitsforschung Einsamkeit im Kontext von Arbeit bislang keine Rolle gespielt hat. Dabei verbringen die meisten von uns einen Großteil ihrer Zeit bei der Arbeit, und sie ist durchaus eine Quelle von sozialen Kontakten.
Welche Bedeutung könnte Arbeit haben?
Das hängt vermutlich davon ab, unter welchen Bedingungen man arbeitet. Wenn die Arbeit ein Ort ist, wo man soziale Kontakte knüpfen und Freunde finden kann, ist das gut. Wenn sie aber davon abhält, soziale Kontakte im Privatleben zu pflegen, weil man etwa Überstunden macht oder lange pendelt, dann kann das zu Einsamkeit beitragen. Das kann aber je nach Mensch und Job unterschiedlich sein.
Pendler sind also häufiger von Einsamkeit betroffen?
Bereits ältere Befunde zeigen, je mehr man pendelt, desto eher steigt etwa das Risiko für ein verringertes Wohlbefinden. Da ist die Annahme naheliegend, dass Menschen einsamer sind, wenn sie vermehrt pendeln. Schließlich hat man weniger Zeit für die sozialen Beziehungen in seinem Leben.
Und Beschäftigte im Homeoffice?
Auch das Homeoffice kann positive und negative Effekte haben. Positiv ist der Zeitgewinn, den man in die sozialen Kontakte investieren kann. Negativ ist, dass man womöglich weniger Beziehungen zu den Kolleginnen und Kollegen aufbaut, was Einsamkeit begünstigen kann. Aber auch das ist je nach Befinden unterschiedlich. Hier können Arbeitgeber und Beschäftigte gemeinsam Lösungen finden.
Sollten Unternehmen das Thema Einsamkeit auf dem Schirm haben?
Auf jeden Fall. Das Thema Einsamkeit ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Wenn wir uns einig darüber sind, dass Einsamkeit schlecht für unsere Gesellschaft ist, dann muss jeder etwas beitragen. Dazu gehören auch die Unternehmen. Aber die müssen zunächst für das Thema sensibilisiert werden. Da wir noch am Anfang unserer Forschung stehen, können wir noch keine konkreten Tipps geben. Wir versuchen allerdings, das Thema etwa auf Führungsebene oder hinsichtlich des Arbeitsschutzes in die Unternehmen reinzutragen.