Leif Oppermann vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT in Sankt Augustin ist Koordinator des Projekts „5G-IndustrieStadtpark Troisdorf“. Er sagt: „Mit 5G, WLAN, guter 3-D-Grafik und bezahlbaren Datenbrillen ist das Stadium erreicht, wo Metaverse-artige Anwendungen für die Industrie möglich und sinnvoll werden.“
Was ist für Sie das Metaverse?
Oppermann: Eine Vision für das zukünftige dreidimensionale Internet, das eine enge Verbindung zwischen der Online-Komponente und der Realität hat. In unserem Beispiel für das Industrial Metaverse ist der eine Kollege im Büro in der Virtual Reality unterwegs, während der andere vor Ort an der Maschine ist und durch eine AR-Datenbrille schaut, die eine Erweiterung der Realität durch eingeblendete digitale Informationen bietet. Die Teilnehmer im Metaverse können sich wie in einem Computerspiel frei bewegen und sind durch Avatare repräsentiert. Die Gesprächspartner wissen dadurch gegenseitig wie in der Realität, wo sie stehen, auf was sie schauen und können mit Händen und Fingern gestikulieren, beispielsweise bestimmte Teile hervorheben, mit Anweisungen versehen und verändern.
So können Menschen, die weit voneinander entfernt sind, optimal kommunizieren?
Ja. Im industriellen Bereich kann man sich so für eine Fernwartung mit dem Kollegen zusammenschalten, der sich viele Tausend Kilometer entfernt ganz woanders auf der Welt befindet und ein Problem an einer Maschine hat, das normalerweise eine Reise erforderlich machen würde.
Ist Fernwartung die einzige industrielle Anwendung?
Nein. Denkbar und teilweise schon in Betrieb sind industrielle Anwendungen für kooperatives Gestalten oder die virtuelle Fabrikplanung. Man kann sich die Fabriken erst einmal virtuell zusammenstellen, begehen, Probe laufen lassen, darin trainieren und erst dann wirklich bauen. Bei Kraftwerken wird das beispielsweise schon seit ungefähr 15 Jahren so umgesetzt, auch wenn es nicht unbedingt Metaverse genannt wurde und meist am Desktop-PC stattfand.
Was braucht man an technischer Ausrüstung dafür?
Neben vernetzten Computern, Brillen oder Tablets mit möglichst schnellem, drahtlosem Internet eine gute 3-D-Darstellung. Das Metaverse wird ermöglicht durch die Entwicklung der Spielebranche der letzten 30 Jahre, bei der zunehmend die 3-D-Computergrafik Einzug gehalten hat. 3-D-Computergrafik ist überhaupt das A und O. Wir brauchen also schnelle Hardware, schnelle Netze sowie Software für die 3-D-Engines.
Sie wollen einen Metaverse-Werkzeugkoffer für den Mittelstand schaffen. Was können kleine und mittlere Industrieunternehmen besonders gut gebrauchen?
Wir haben im Projekt einen Maschinenbauer und einen Produktionsstraßen-Betreiber. Für beide Partner ist es eine Riesensache, wenn sie Dienstreisen vermeiden können, die unnötig viel Zeit und Geld kosten, vielleicht auch nervig und umweltschädlich sind.
Konkretes Beispiel?
Wenn eine Maschine, die in Deutschland entworfen wurde, sagen wir mal in Brasilien ausfällt, muss im schlimmsten Fall am Sonntag jemand von der Firma sich von der Familie verabschieden, ins Auto setzen, nach Frankfurt fahren, über den Atlantik fliegen, übernachten, weiterfahren. Dienstag oder Mittwoch ist er beim Kunden, hat nach einer Willkommensrunde das Problem mit wenigen Handgriffen gelöst und macht sich auf dem Rückweg. Dann war er eine ganze Woche unterwegs für etwas, was in wenigen Minuten lösbar war. Das Potenzial der Fernwartung im Industrial Metaverse ist, denke ich, für den Mittelstand momentan von größter Bedeutung.
Was wird im Koffer drin sein?
Momentan ist schon die Datenbrille drin, dann in irgendeiner Form ein 5G-Modem. Zurzeit haben wir dafür einen 5G-fähigen Router: Der kriegt eine SIM-Karte für das 5G-Netz und gibt die Verbindung intern weiter. Oft kommt man ja nicht ins interne Netz einer Firma, aber das mobile Datennetz ist verfügbar und wird zunehmend 5G- und danach 6G-fähig und entsprechend leistungsfähig sein. Für viele Anwendungen wird weiterhin ein Tablet sinnvoll sein. Wir wollen auch einen sensorbasierten Schraubenschlüssel einbringen: Damit kann der Kollege in der Fernwartung überwachen, ob man den Schraubenschlüssel mit dem korrekten Drehmoment angesetzt hat. Der Kollege im virtuellen Raum kann nichts anfassen oder direkt nachprüfen. Deshalb müssen wir überlegen, wie er wissen kann, dass die Arbeit richtig durchgeführt wurde.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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