Die Szenerie hat etwas von Science-Fiction: Der Kopf eines Avatars schwebt über der Maschine. Seine gespenstischen Hände zeigen auf das Messer, das ausgewechselt werden muss – und auf die Schraube, die dafür herausgedreht werden muss. Seine sympathisch klingende Stimme erklärt im Kopfhörer einer speziellen Brille, was zu tun ist. Dem Avatar kann man auch Fragen stellen. Willkommen im Metaverse, einer Welt, in der Reales und Virtuelles verschmelzen.

Real ist hier nur die Fertigungsmaschine

Der Mann, der die Befehle des Avatars ausführt, ist Yücel Uzun vom Fraunhofer-Institut für angewandte Informationstechnik FIT. Er schaut durch eine AR-Datenbrille. Das Kürzel AR steht für Augmented Reality, eine Erweiterung der Realität durch eingeblendete digitale Informationen.

Real ist hier nur die Maschine: ein sogenannter Granulator für das Kunststoff-Recycling. Der mittelständische Maschinenbauer ZWi Technologies in Troisdorf bei Bonn fertigt diese ganz speziellen Anlagen, etwa für den japanischen Folienproduzenten Kuraray. Der stellt in unmittelbarer Nachbarschaft Folien für Verbundglas her, die vor UV-Strahlung, Lärm oder Bruch schützen. Um die wertvollen Produktionsreste vollständig zu verwerten, schreddern die Recycling-Anlagen sie klein und verwandeln sie in Granulat, das direkt wieder in die Produktion geht.

Mithilfe der Datenbrille erhalten die Beschäftigten ein exaktes Bild der Anlagen, angereichert durch Betriebsanleitungen und Konstruktionspläne. Damit lassen sich Störungen beheben und neue Arbeitskräfte schnell anlernen.

Urs Riedlinger gibt dem Maschinenbediener als Avatar die Anweisungen. Er sitzt in einem Büro des Maschinenbauers ZWi, trägt ebenso eine Datenbrille und hat den digitalen Zwilling des Granulators vor sich. Mit zwei Joysticks markiert er Bauteile an der dreidimensionalen Abbildung. Gleichzeitig sieht er auf einem Video, was die Kamera des Maschinenbedieners aufnimmt, und hat die Anlage so im Blick.

Was es mit dem „5G-Werkzeugkoffer“ auf sich hat

Die simulierte Fernwartung per Avatar ist Teil des Forschungsprojekts „5G-IndustrieStadtpark Troisdorf“. Dieses Projekt ist eines von zehn Vorhaben im 5G-Innovationsprogramm des Bundes und das einzige in Nordrhein-Westfalen. 3,6 Millionen Euro Fördermittel schießt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr zu.

Seit knapp zwei Jahren entwickeln die beiden Firmen in Troisdorf zusammen mit Wissenschaftlern industrielle Anwendungen für das Metaverse. Dafür ist eine drahtlose Datenübertragung in Echtzeit wichtig. Diese ermöglicht ein „5G-Werkzeugkoffer“: ein Servicepaket aus Hard- und Software für komplexe Remote-Aufgaben. Mit dessen Hilfe sollen auch kleine Mittelständler den Sprung ins Metaverse schaffen. Für das superschnelle 5G-Internet per Funk baut eine Tochter der Stadtwerke Troisdorf ein unabhängiges, lokal begrenztes Highspeed-Netz für die ansässige Industrie.

Avatare helfen, sich besser zu verständigen

„Während der Coronazeit halfen wir uns mit Videos aus“, erinnert sich Lukas Odenthal, Projektleiter Entwicklung und Konstruktion beim Maschinenbauer ZWi: „Doch das war wenig effizient.“ Künftig soll die Kommunikation in Echtzeit und ohne Informationsverluste ablaufen.

„Wir sind dabei, Werkzeuge in den Koffer reinzupacken, die tatsächlich mit der Datenbrille kommunizieren können“, sagt Odenthal. Den digitalen Zwilling der Maschine zu erstellen, sei kein zusätzlicher Aufwand: „Die Daten liegen eh vor, weil wir die Maschinen seit Langem computergestützt konstruieren.“

Die Avatare, nur Kopf und Hände realer Mitarbeitender, dienen der besseren Verständigung, erläutert er. „Man sieht den Blickwinkel des Avatars, man sieht, worauf seine Hände zeigen, statt die Stelle mit Pfeilen zu markieren.“

Vorzeigeprojekt der Bundesregierung

Für die Fernwartung müssen die mobilen Geräte gestochen scharfe Bilder liefern, die Videos dürfen nicht ruckeln, und die Infos müssen ohne Verzögerung ankommen. Was beim noch lückenhaften 5G-Netz nicht selbstverständlich ist.

Übrigens wurde das Troisdorfer Metaverse-Vorhaben unlängst beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung als Vorzeigeprojekt der Öffentlichkeit präsentiert.

„Dank Metaverse lässt sich viel Zeit und Geld sparen“ – sagt Leif Oppermann vom Fraunhofer-Institut im aktiv-Interview. Warum? Erfahren Sie  hier: aktiv-online.de/metaverse

Metaverse: Eine neue Welt tut sich auf

Metaverse – was ist das? Laut Digitalverband Bitkom eine virtuelle, dreidimensionale Erweiterung der realen Welt, in der man als digitaler Zwilling oder Avatar lebt und künftig eventuell auch arbeitet, lernt und alltägliche Aktivitäten unternimmt.

Reale und virtuelle Welt verschmelzen: So kann man zum Beispiel mit echtem Geld virtuelle Güter kaufen, hinter den Avataren verbergen sich existierende Personen und hinter virtuellen Maschinen reale.

Viele Menschen sind grundsätzlich offen für die neue Technolgie, ergab eine Bitkom-Umfrage.So können sich 27 Prozent der Deutschen vorstellen, im Metaverse shoppen zu gehen. 22 Prozent würden sich dort mit Freunden und Freundinnen verabreden, ebensoviele via VR-Brille und Laptop ein reales Konzert genießen.Fast der Hälfte der Befragten macht es allerdings Angst, dass eine virtuelle Parallelwelt entsteht.

Firmen nutzen das Metaverse schon für Marketingaktivitäten, suchen Personal, organisieren virtuelle Meetings und Schulungen.Jede vierte steht dem Metavesre aufgeschlossen gegenüber, 29 Prozent sind noch skeptisch.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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