Wenn Lars Enk und Maurice Wingerath beisammenstehen, sieht es erst mal so aus, als führten zwei Kollegen ein Fachgespräch: Warum muckt gerade diese Webmaschine – wie steht es um die Qualität des verarbeiteten Garns – wann sind die schweren Kettbäume auszuwechseln?
Dann zeigt sich: Enk ist nicht einfach nur Kollege, sondern vor allem auch Ausbilder des 17-jährigen Wingerath. Enk betreut beim Textilunternehmen Setex in Hamminkeln insgesamt vier gewerbliche Auszubildende, die dort eine Lehre zum Maschinen- und Anlagenführer oder zum Produktionsmechaniker Textil machen. „Fragen beantworten, Probleme lösen, immer ein offenes Ohr haben, auch mal für private Themen: Das gehört zu meiner täglichen Arbeit“, erklärt Enk beim aktiv-Besuch im Betrieb.
Der Mann ist außerdem Schichtleiter in der Weberei. Seitdem der 27-Jährige seinen Industriemeister Textil gemacht und damit den Ausbilderschein erworben hat, ist ihm klar: „Ich bin auch ein Nachwuchs-Scout.“ Diese Aufgabe, die immer wichtiger wird, hat es in sich. „Geeignete Bewerber zu finden, das ist mittlerweile ein Ganzjahresgeschäft – und nicht damit erledigt, einfach nur Bewerbungen zu sichten.“
Viele Jugendliche wissen kaum etwas über die spannenden Ausbildungsberufe
Denn die muss er ja erst mal in ausreichender Zahl auf den Tisch bekommen. Sinkende Schulabgängerzahlen, steigende Beliebtheit des Studiums und nicht zuletzt die Corona-Pandemie stehen dem entgegen. Also wirbt Enk unermüdlich für textile Berufe. Auf mehreren Ausbildungsmessen pro Jahr sucht er das Gespräch mit Jugendlichen und kümmert sich um Kontakte zu Schulen in der Umgebung. „Das ist absolut notwendig, denn viele wissen kaum etwas über die Berufe in der Textilbranche“, so seine ernüchternde Erfahrung.
„Ein positiver Eindruck in der Zeit des Praktikums ist mir oft wichtiger als Zeugnisnoten.“
Lars Enk, Ausbilder bei Setex
Um das zu ändern, setzt Setex, wo man unter anderem Textilien für den Matratzenschutz, schwer entflammbare Event-Textilien oder auch strapazierfähiges Gewebe für Arbeitskleidung produziert, auf Praktika. „Wir bieten jedem Interessierten ein mehrtägiges Praktikum an.“ Während dieser Zeit schleust der junge Ausbilder die Kandidaten durch alle Produktionsstufen, von der Kettfertigung über die Spinnerei und Weberei bis zur Ausrüstung.
Dabei fühlt er den Bewerbern auf den Zahn. „Ist technisches Verständnis und Interesse an den Produktionsabläufen vorhanden? Werden wichtige Fragen gestellt? Besteht die Bereitschaft, sich in ein Team einzufügen?“ Das sind Kriterien, die für Enk wichtig sind.
Was er jedem Lehrstellensuchenden rät: „Engt euch nicht ein! Informiert euch über Berufsbilder, die euch interessieren – und macht Praktika, um den Arbeitsalltag kennenzulernen.“
Karriere kann man auch ohne Abi und Studium machen
Da spricht er auch aus eigener Erfahrung, so lange sind seine eigenen Lehrjahre noch nicht her. Nach einer Ausbildung zum Koch orientierte sich Enk 2014 ganz neu, machte ein Praktikum bei Setex und begann dort kurz danach eine Ausbildung. „Ich kann also verstehen, wenn man seine Planung mal komplett umschmeißt.“ Zu oft sollte das aber nicht passieren …
Inzwischen ist Enk Meister, Ausbilder und Schichtführer. „Man hat also durchaus die Chance, sich in unserer Branche auch ohne Abi und Studium weiterzuentwickeln“, betont er. Auch diesen Aspekt versucht er Bewerbern in den Gesprächen immer wieder zu vermitteln.
Ob die jungen Leute sich nun per Post melden oder online: Die Bewerbungen sorgfältig zu sichten, dafür nimmt er sich Zeit. Versprochen! „Schließlich könnte jeder Bewerber langfristig ein guter Kollege werden.“
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Nach einer Ausbildung zum Koch habe ich eine Lehre zum Produktionsmechaniker absolviert – und direkt den Meister hinterhergeschoben.
Was reizt Sie am meisten?
In meiner täglichen Arbeit auch die Abwechslung zu sehen. Dafür sorgt natürlich schon meine Arbeit als Ausbilder: Denn auf jeden Azubi muss ich mich neu einstellen.
Worauf kommt es an?
Ruhig bleiben, wenn es hektisch wird. Vorbild für die jungen Menschen sein und öfter auch Verständnis zeigen.
Die Fachkräfte von morgen
- 1.834 junge Menschen waren 2020 in einer textilen Ausbildung
- 1.400 Unternehmen der Branche bilden aus
- 80 Prozent dieser Betriebe wollen trotz Corona-Krise weiterhin ausbilden
Quelle: textil+mode
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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