Borken. Der junge Mann hält einen Faden in der Hand und zwirbelt dessen Enden: Zwischen seinen Fingern liegt ein Weberknoten, wie man ihn in der Weberei täglich braucht. „Schon am Ende meines ersten Arbeitstags hatte ich den drauf“, sagt Daniel Somo (18) stolz. Das Gewebe wiederum, das aus solchen Fäden in der Weberei des Heimtextilienherstellers Wülfing entsteht, hielt Vera Kilian (20) schon oft in der Hand: „Mit solchen Mustern erstelle ich Prospekte für unsere Kunden“, sagt sie.
Die beiden haben den Einstieg geschafft. Sie absolvieren eine Ausbildung bei dem Borkener Traditionsbetrieb: Kilian als Industriekauffrau, Somo als Maschinen- und Anlagenführer. Keine Selbstverständlichkeit in einem Ausbildungsjahr, das die Pandemie kräftig durcheinandergewirbelt hat.
Bei Wülfing die Regel: Ein Praktikum, um ins Unternehmen zu schnuppern
Was ihnen half: Die Abiturientin aus Rhede und der Realschüler aus Borken hatten sich schon zum Jahreswechsel von 2019 auf 2020 bei dem Textilunternehmen beworben, das an drei Standorten in Deutschland und Tschechien rund 500 Mitarbeiter hat. „Ich konnte sogar noch ein Praktikum machen, um die Weberei kennenzulernen“, erzählt Somo. „Das bieten wir normalerweise jedem Bewerber an, damit er oder sie mal bei uns und in den jeweiligen Beruf hineinschnuppern kann“, so Geschäftsführer Johannes Dowe beim aktiv-Besuch. Kilian hingegen bewarb sich einfach über die örtliche Berufsberatung bei Wülfing. „Nach dem Abitur wollte ich auf jeden Fall eine Ausbildung machen“, sagt sie.
Die Lehrzeit begann für die beiden dann im August – natürlich mit viel Abstand und mit Maske. Trotzdem: „Schon der erste Tag war toll“, betont Somo, „mir wurde alles gezeigt, die Kollegen hatten viel Zeit für mich.“ Und das lag nicht etwa an der Pandemie! Trotz Corona hat man bei Wülfing nämlich gut zu tun und schreibt ordentliche Zahlen, wie Geschäftsführer Dowe sagt.
Auch Kilian fühlte sich schnell wohl im Job. Ihr Highlight am ersten Tag: „Die Betriebsführung – sie hat mir gezeigt, wie einzelne Arbeitsschritte aufeinander aufbauen, bis hin zu den Aufgaben, die ich jetzt in meiner Ausbildung erledige.“
Für die junge Frau gehört der Umgang mit dem PC mittlerweile zum Arbeitsalltag.
„Wenn ich Fragen habe, ist immer jemand ansprechbar“, sagt Kilian.
Obwohl die Büros hier wegen der Homeoffice-Regel noch relativ leer sind, was sich hoffentlich bald ändern wird.
Lernen macht den jungen Leuten Spaß – bei der ersten Ausbildung soll es nicht bleiben
Während Kilian ihren Berufsschulunterricht in Borken absolviert, besucht Somo den Blockunterricht in der Textilakademie in Mönchengladbach. In Zukunft ist er dort im neuen Gästehaus untergebracht. „Dort habe ich ein eigenes Notebook, auf dem ich Unterrichtsmaterial abspeichern und bearbeiten kann“, sagt er. Das Gerät kann er auch fürs Lernen nutzen, wenn er im Betrieb ist. „Natürlich mache ich mir Notizen per Hand, aber das Notebook nutze ich mehr.“ Was ihn freut: „Demnächst darf ich einige Webmaschinen selbstständig beaufsichtigen.“ Natürlich haben erfahrene Kollegen ein Auge darauf, dennoch ist es für den Azubi etwas Besonderes, schon ein wenig Verantwortung übernehmen zu können.
Das Lernen macht den beiden offensichtlich Spaß. Sie überlegen schon, nach der Lehre weiterzulernen! Kilian liebäugelt mit einem berufsbegleitenden Studium, Somo mit einer Weiterbildung zum Mechaniker. Die Firma begrüßt und unterstützt das, wie Dowe sagt: „Es gibt bei uns genügend Möglichkeiten, sich immer weiterzuentwickeln.“
Womöglich ist es ja dann irgendwann Daniel Somo, der einem neuen Wülfing-Azubi an seinem ersten Tag den Weberknoten beibringt …
Ausbildung sichert die Zukunft
- 467.500 Ausbildungsverträge wurden 2020 neu abgeschlossen
- 56 Prozent dieser Azubis arbeiteten in Industrie und Handel
- 59.900 Lehrstellen konnten nicht besetzt werden
- Stand: 30. September 2020, Quelle: Berufsbildungsbericht 2021
Die Berufe in der Textilbranche
Es gibt knapp 30 textile Ausbildungsberufe. Doch was macht eigentlich ein Modist? Und welche Qualifikation braucht ein Produktveredler? Im Web gibt es Infos dazu, zum Beispiel auf diesen Seiten:
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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