Volksfeststimmung in Vegesack. Über 3.000 Zuschauer fiebern dem Start der 9. Pappbootregatta im Museumshaven entgegen. Da passiert Martin Mader vom Team der „Vegesacker Drachenköppe“ das erste Malheur. Als Schiffsträger stolpert er beim Wendemanöver von der Treppe auf den Anleger und plumpst prompt in die Fluten.
Kurz darauf steht er mit einem Fuß im Boot und einem an Land, wobei sich die Lücke unter ihm bedrohlich verbreitert. Bevor der Spagat schmerzhaft wird, bleibt auch dieses Mal nur der Weg nach unten und damit ins Wasser. Doch der 62-Jährige nimmt’s mit Humor, wringt lachend seinen Pulli aus, setzt sicherheitshalber die Brille ab und schwingt sich nun sicher auf seinen Startplatz ins Boot „Hooraay“ der „Vegesacker Drachenköppe“.
Statik, Auftrieb und Gewicht müssen passen
Nicht nur beim Ablegen, auch beim Pappboot-Fahren selbst braucht man jede Menge Geschick, um nicht ins Schwimmen zu geraten, weiß Dietmar Strauß, Ausbilder der Fr. Lürssen Werft in Bremen-Nord. Er sagt: „Statik, Auftrieb und Gewicht der Besatzung müssen passen.“
Seine Azubis treten mit ihrem Boot „Donnerwetter“ an und haben sich gut vorbereitet. Unter den 56 Nachwuchskräften am Standort hatte Strauß bei Probefahrten zwei Kandidaten ausgewählt, die vom Gewicht und vom Bewegungsablauf gut harmonieren. Und damit beste Chancen haben, einen der vorderen Plätze bei der Pappbootregatta am letzten Wochenende im Mai zu belegen.
Insgesamt zwölf Teams am Start
„In die Pappe, fertig, los!“ Mit diesem Ruf schickt Radio-Bremen-Moderator Ansgar Langhorst die Teams ins Rennen und damit quer durchs 60 Meter breite Becken des Vegesacker Museumshavens plus Bojenumrundung. Insgesamt zwölf Teams beteiligen sich an dem Spaß, der in diesem Jahr nach zwei Corona-Unterbrechungen zum neunten Mal ausgetragen wird.
Lürssen gehört zu den Teilnehmern der ersten Stunde bei der Pappbootregatta.
Spaß haben sowohl die Zuschauer als auch die Teilnehmer, sogar die vom Team „Edeka Damerow“, das mit einer speziellen Performance für Heiterkeit sorgt: Ein Mann hält sich an Bord gerade so oben, während sein Teampartner wie Obelix in dem „Asterix“-Band „Tour de France“ als Außenborder agiert. Nicht ganz regelkonform – aber durchaus lustig.
Ein Event in Wismar lieferte die Inspiration
„Natürlich soll man sich hier auch amüsieren“, sagt Birgit Benke, die seit Anfang an für den Verein „Maritime Tradition Vegesack Nautilus“ Organisatorin des Events ist. Sie hatte die Pappbootregatta vor zehn Jahren nach dem Besuch eines Kutterpullen-Rennens in Wismar in ihre bremische Heimat mitgebracht und über die Jahre stetig weiterentwickelt. Heute gehört das verrückte und schrille Event zu den maritimen Highlights in Bremen-Nord.
Da darf die Lürssen Werft als einer der wichtigsten Arbeitgeber vor Ort natürlich nicht fehlen. „Unsere Azubis waren von Anfang an dabei“, berichtet Ausbilder Strauß. „Wir sehen das als teambildende Maßnahme im Rahmen unserer Ausbildung an, nehmen das Event ernst, aber auch mit Humor.“
Fünf Azubis werden zu einem Team
In diesem Jahr bilden fünf Azubis das Bauteam. Sie müssen sich selbst organisieren, Material besorgen, Pläne entwerfen und das Boot schwimmfähig machen. „Allerdings war das nicht so schwierig, weil wir auf das Modell aus dem Jahr 2019 zurückgreifen konnten“, sagt Kirill Schneider, der sich bei Lürssen zum Konstruktionsmechaniker Schweißtechnik ausbilden lässt.
Das schlanke, etwa viereinhalb Meter lange Gefährt namens „Donnerwetter“ – benannt nach einem von Otto Lürssen im Jahr 1905 entwickelten 40-PS-Schnellboot mit 35 Knoten Topspeed – wurde von den Azubis runderneuert. „Es soll so schnittig wie möglich sein, denn wir treten in der Klasse Schnelligkeit an“, erklärt Azubi Nils Oekermann. Und sein Kollege Mirco Dressler ergänzt, dass es auch beim Arbeiten an einem Pappboot auf Präzision und sauberes Arbeiten ankommt.
Das Ziel: Gewinnen und nicht untergehen
Deshalb wurden alle Einzelteile noch einmal penibel geprüft: Die Spanten aus Wabenpappe und der Rumpf aus einer Mischung aus gehäckselten Berichtsheften und Pappschnipseln, die mit Leim vermischt den Unterboden des Bootes bildeten, wurden nachgemessen und stellenweise ausgebessert. In der Ausbildungswerkstatt wurde das ungewöhnliche Wasserfahrzeug dann zum Trockentest auf den Boden gesetzt, und zwei Azubis prüften, ob ihnen auch genügend Platz zum Rudern bleibt.
Dietmar Strauß findet das Engagement seiner Crew super. „Die sind voller Eifer dabei, schließlich wollen sie gewinnen und nicht absaufen.“ Untergegangen sind die Lürssen-Boote während der vorangegangenen Wettkämpfe nicht, sogar dreimal Erster geworden.
Schräglage vermeiden
Die entscheidenden Vorteile errudert sich laut Strauß ein Pappboot nicht auf der geraden Strecke zu den Bojen, sondern beim zweimaligen Umrunden derselben. Es gelte, ohne Ruder und eng um die Boje herumzukommen, aber möglichst nicht in gefährlicher Schräglage.
Das gelingt Kapitän Jan Gerberding (Azubi Anlagenmechaniker) und Krystian Referda (Azubi Konstruktionsmechaniker) gut. Strauß lobt denn auch: „Was man auf dem Wasser nur bedingt sieht, ist, welche Teambuildung-Power in unserem Boot steckt.“
Vier Sekunden entscheiden über den Sieg
Das Team gibt alles, um das Boot schnittiger zu machen, dennoch können die Lürssen-Azubis die Erfolge der Vergangenheit diesmal nicht wiederholen. Im Duell mit dem Team der benachbarten Werft Abeking & Rassmussen setzt sich das A&R-Boot durch. Am Ende liegen knapp vier Sekunden zwischen „Donnerwetter“ von Lürssen und der „Antriebswelle“ von A&R. Ausbilder Strauß ist trotzdem zufrieden. „Unser Team hat eine tolle Leistung gezeigt, und wir werden auch 2023 als Mit-Favorit starten.“
Die Preise, die Radio-Bremen-Moderator Ansgar Langhorst bei der Siegerehrung überreicht, beziehen sich auf die Kategorien Tempo und Kreativität. Ein schönes Boot, das langsam schippert, hat also genauso Chancen auf einen Pokal wie eine auf Tempo getrimmte „Rennpappe“. Unser Tipp: Vielleicht sollte künftig noch ein Pokal für den schönsten Untergang dazukommen, denn den stärksten Applaus gab es an diesem Tag für die „Abtaucher“.
Beliebter Ausbildungsbetrieb
Die Fr. Lürssen Werft ist mit 1.200 Beschäftigten spezialisiert auf den Neubau und den Refit von Jachten und ein bedeutender Ausbildungsbetrieb in der Region Bremen.
Mehr als 50 junge Leute lernen in verschiedenen gewerblich-technischen und kaufmännischen Berufen – angefangen beim Industriemechaniker über den Konstruktionsmechaniker, den Anlagenmechaniker bis hin zum Industriekaufmann und Fachinformatiker. Auch Fachkräfte für Lagerlogistik und technische Produktdesigner werden ausgebildet.
Hinzu kommen noch mehrere duale Studiengänge.
Als Geschäftsführer einer Bremer Kommunikationsagentur weiß Lothar Steckel, was Nordlichter bewegt. So berichtet er für aktiv seit mehr als drei Jahrzehnten vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie, Logistik- und Hafenwirtschaft, aber auch über Kultur- und Freizeitthemen in den fünf norddeutschen Bundesländern.
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