München. Schon mit Corona fing es an. Zuletzt hat das Beispiel Russland gezeigt, wie schnell deutsche Unternehmen von wichtigen Beschaffungs- und Absatzmärkten abgeschnitten werden können. Und was passiert eigentlich, sollte China in ein paar Jahren nicht mehr nur verbal aggressiv gegenüber seinem Nachbarn Taiwan auftreten?
Vor dem Hintergrund globaler Krisen und wachsender Unsicherheiten müssen nicht nur Staaten umdenken, sondern auch Firmen. Das ist insbesondere bei der international eng verflochtenen deutschen Wirtschaft der Fall. Es gilt, mögliche Abhängigkeiten kritischer zu bewerten als früher und bestehende Risiken zu minimieren.
Die Abhängigkeit von China ist deutlich gewachsen
Den globalen Märkten den Rücken kehren muss deswegen niemand – im Gegenteil. Das zeigen jetzt zwei aktuelle Studien der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw), die das Schweizer Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos erstellt hat. Demnach bieten bislang weniger beachtete Länder und zusätzliche Beschaffungsmärkte vielen Firmen die Möglichkeit, ihre Lieferketten zu diversifizieren und damit zu stabilisieren. Zusätzlich eröffnen vor allem die kaum erschlossenen Absatzmärkte in Asien und Lateinamerika neue Chancen – auch für bayerische Firmen.
Die Prognos-Studie „Neue Beschaffungsmärkte für die bayerische Wirtschaft“ sieht für viele Waren und Branchen die aufstrebenden Schwellenländer wie Indien oder Staaten in Südostasien als vielversprechende Alternative. Aber auch in etablierten Märkten wie Japan, Südkorea, USA oder Kanada könne man das Engagement ausweiten.
Aktuell sind die Länder der EU mit einem Anteil von rund 50 Prozent an den deutschen Vorleistungsimporten der mit Abstand wichtigste Partner. „Das belegt die Stärke und Relevanz unseres EU-Binnenmarkts“, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der vbw. Allerdings zeige sich derzeit in fast allen untersuchten Warengruppen auch eine große Importabhängigkeit von China. „Diese hat zuletzt in vielen kritischen Bereichen weiter zugenommen“, warnt er. Im Bereich der Elektronik und Datenverarbeitung beispielsweise kommen laut Studie mittlerweile rund ein Drittel der deutschen Vorleistungsimporte aus China und weitere 10 Prozent aus Taiwan.
Hier genau hinzuschauen, ist laut vbw richtig. „Eine kontinuierliche Überprüfung der internationalen Beschaffungsmärkte ist ein wichtiges Instrument, um die Produktionsketten und damit die Wertschöpfung unserer Wirtschaft nachhaltig zu stärken“, sagt Brossardt. „Dank neuer Beschaffungsmärkte können unsere Unternehmen den Spagat zwischen Effizienz und Resilienz im Einkauf meistern.“
Neue Freihandelsabkommen sind von großer Bedeutung
Doch nicht nur bei den Vorleistungsimporten, sondern auch auf den Exportmärkten wird sich in den kommenden Jahren wohl vieles verschieben. Hierzu zeigt die Prognos-Studie „Neue Absatzmärkte für die bayerische Wirtschaft“ neue Potenziale auf. Die Studie macht deutlich, dass deutsche und bayerische Unternehmen ihr bislang begrenztes Engagement in den aufstrebenden Schwellenländern ausweiten könnten – und dies wegen der dortigen Wachstumsdynamik auch sollten.
Untersucht wurden 13 vielversprechende Märkte, darunter Länder wie Indien, Indonesien, Argentinien, Brasilien und Mexiko. Ergebnis: Während bei einigen Staaten dank Freihandelsabkommen ein Marktzugang gut möglich ist, machen anderswo Handelshemmnisse den Unternehmen das Leben schwer. Auch die politischen und institutionellen Rahmenbedingungen sind unterschiedlich – in Asien, so Prognos, tendenziell stabiler als in Lateinamerika.
„Bei allen Unterschieden zwischen den einzelnen Märkten bieten diese Länder durchweg vielfältige Export- und Wachstumspotenziale“, sagt vbw-Hauptgeschäftsführer Brossardt. Es sei nun Aufgabe der EU, neue Rohstoff-, Handels- und Investitionspartnerschaften überall auf der Welt abzuschließen und damit den Freihandel zu stärken. „Von diesem Modell profitieren nicht nur international aufgestellte Unternehmen, sondern über die Wertschöpfungsketten auch viele kleine und mittelständische Unternehmen und letztendlich die gesamte Wirtschaft und Gesellschaft“, erklärt Brossardt.
Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.
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