Palaia Fokaia. Der Sand knirscht leise unter den Schuhen, die 25 Grad fühlen sich herrlich an – deutsches Schmuddelwetter ade. Man könnte also prima Urlaub machen hier, direkt am Mittelmeer, ein paar Kilometer außerhalb der griechischen Hauptstadt Athen. Oder sich einer gewaltigen Herausforderung stellen. So wie Franziska (34) und Kay (45).
Seit Oktober nämlich lebt das Paar mit seiner Katze in einem umgebauten Feuerwehrmobil. Zwei Jahre lang werden sie die Welt bereisen. Europa, Nord- und Südamerika, das ganz große Kino eben. Und die passende Vision dazu: „Wir lernen auf dieser Tour fürs Leben, erweitern unseren Horizont“, sagt Kay beim Treffen mit aktiv am Strand.
An diesem Nachmittag haben die beiden ihren „Roadfuchs“ direkt am Wasser geparkt. Auf den Wellen draußen tanzen ein paar Boote, im Sand die zusammengeräumten Reste einer abgebauten Strandbar. Ein paar Meter weiter sitzen Angler am Meer und versuchen ihr Glück, eine Taverne in der Nähe versorgt Einheimische und Fremde mit griechischem Wein und frischem Fisch. „Wir sind froh, dass wir jetzt endlich unterwegs sind“, sagt Kay. „Die ganzen Vorbereitungen waren schon anstrengend. Aber wir wollten eben auch gut gerüstet für den Trip sein“, ergänzt Franziska.
15 Stunden täglich schweißen, flexen, schrauben
Das klingt vernünftig. Denn: Was die beiden Sachsen da vorhaben, ist weit mehr als nur eine kleine Alltagsflucht. Täglich werden sie sich neuen Herausforderungen stellen müssen. Unvorhergesehenes meistern. Innovativ sein. Spontan entscheiden, welche Route sie nehmen. Wo sie am Abend schlafen. Werden Diesel und Wasser reichen? Ein radikaler Umbruch in ihrem Leben – ganz bewusst herbeigeführt. Warum aber macht man so was? Warum tauscht man ein Haus mit 150 Quadratmetern, Garten und Pool im Dresdner Umland gegen 15 Quadratmeter im Feuerwehrwagen am Straßenrand?
„Wir hatten schon länger das Gefühl, dass wir etwas Neues wagen wollten in unserem Leben“, sagt Kay. „Beruflich war bei uns immer Vollgas angesagt, ich im Vertrieb und Franzi als Referentin der Geschäftsleitung.“ Während Corona sei dann endgültig die Entscheidung gefallen: Wir machen das! Entschlossen stürzt sich das Paar in die Vorbereitungen. „Wir hatten erst überlegt, mit einem normalen Wohnmobil zu fahren“, erinnert sich Kay. „Aber uns war relativ schnell klar, dass das für die lange Reise zu klein und unflexibel ist“, ergänzt Franziska. Also musste eine neue Idee her. Nach langer Suche in Online-Portalen für gebrauchte Fahrzeuge dann endlich der ersehnte Treffer: ein ausrangiertes Feuerwehrauto!
Liebe auf den ersten Blick – und Auftakt eines wahren Arbeits-Marathons. Wochenlang schweißt, flext und schraubt Kay am neu erstandenen Oldtimer. Er setzt den Wohnraum komplett neu auf, installiert die komplizierte Bordelektronik.
Wichtige Weiterbildung für die Weltreise
Ein gigantisches Projekt, auch für den gelernten Kfz-Mechaniker. „Natürlich kann ich noch von früher Autos zusammenschrauben, aber ich musste mir trotzdem vieles für den Ausbau beibringen. Das ist was anderes als ein Reifenwechsel.“ Weltreise auf die harte Tour halt.
Zusätzlich montiert er Solarpanels auf dem Dach, die Strom für Herd, Klimaanlage und Heizung liefern. „Während unserer Tour habe ich auch schon ein paar Kleinigkeiten in der Kabine angepasst und verbessert.“ Trial and Error halt: „Erst in der Praxis merkt man, was sich bewährt.“
Während Kay schuftet, ist Franziska nicht faul. Sie nutzt die Zeit – macht selbst einen Lkw-Führerschein, um den tonnenschweren Koloss sicher bewegen zu können. Eine Vorsichtsmaßnahme: „Falls Kay mal ausfällt, können wir trotzdem weiterfahren. Und es macht mir natürlich Spaß.“ Schon in der Vorbereitungsphase lernen die beiden so täglich Neues, entdecken ihr Talent, auch mal um die Ecke zu denken.
Nach vier Monaten und insgesamt über 1.000 Arbeitsstunden ist der Wagen fertig und wird getauft: „Roadfuchs“. Für allerlei Eventualitäten ist das fahrbare Zuhause nun ausgerüstet – nur gegen Corona ist auch das ehemalige Einsatzfahrzeug manchmal machtlos. Einreisebestimmungen, die sich in der Pandemie schneller ändern als das Wetter – Stress pur für die Reisenden. Noch ist zudem unklar, ob sie nächstes Jahr die geplante Route von Kanada durch die USA und runter nach Südamerika überhaupt nehmen können. Flexibel bleiben, lautet das Motto. Einen Plan B haben die beiden schon: Skandinavien bis zum Nordkap.
Der Mut zum Abenteuer siegt über Zweifel und Sorgen
Auch auf andere Unwägbarkeiten wie überschwemmte Campingplätze können Franziska und Kay immer nur relativ kurzfristig reagieren. Dass man nicht alles voraussehen kann, mussten sie freilich auch erst mal lernen. „Wir versuchen schon zumindest grob, die nächsten Stellplätze für den Roadfuchs zu planen. Aber wenn es zum Beispiel morgen anfängt zu regnen, fahren wir einfach weiter“, sagt Kay und deutet auf den wolkenlosen, sonnigen Himmel. „Wichtig ist, dass wir frisches Trinkwasser und genügend Diesel im Tank haben.“
Einfach weiterfahren, der Sonne hinterher – das klingt gut. Doch der Alltag im beengten Blechheim ist nicht immer nur relaxed. „Wir müssen uns ständig neu erfinden, Handlungen hinterfragen, Kompromisse schließen.“ Überraschend leicht falle das aber bisher, sagen beide. Kleine Streitfragen des normalen Alltags seien jetzt einfach kein Thema mehr. Was kocht man heute? Wer macht die Wäsche? Wer putzt das Bad? Diese Fragen würden sich nicht mehr stellen. „Wir sind grundsätzlich viel gelassener. Wir können uns treiben lassen. Essen, wenn wir Hunger haben. Schlafen, wenn wir müde sind“, sagt Kay.
Dass nicht jeder ihrem Beispiel folgen, einfach den Job kündigen und losfahren kann, wissen Franziska und Kay selber sehr genau. Als reinen Wellness-Trip sehen sie ihre Reise aber nicht. Eher als Gelegenheit, sich selber aufs nächste Level zu hieven, sich weiterzubilden. Fremde Kulturen kennenlernen und sich mit Einheimischen austauschen, sei ihnen schon immer sehr wichtig gewesen, ergänzt Franziska. So lernt Kay schon Spanisch mit Youtube-Videos – falls das mit Südamerika ja doch noch klappt.
Gut gerüstet für die lange Reise sind die beiden: finanziell solide aufgestellt und gegen Unfälle und Krankheiten weltweit versichert. Das Paar hat jahrelang gespart, das auf zwei Jahre vermietete Haus spült verlässlich Geld aufs Konto. „Wir haben auf unserer Fahrt schon andere Leute gesehen, die ohne Plan losgezogen sind.“ Das sei für sie nicht infrage gekommen. Sorgen und Ängste gab es trotzdem. „Ich war, ehrlich gesagt, zu Beginn der ganzen Aktion nicht 100-prozentig überzeugt“, gibt Franziska zu. Sich auf den Wandel einzulassen, habe bei ihr etwas länger gedauert, sagt die junge Frau.
Viel dazulernen bei wichtigen Soft Skills
Und wenn die Reise mal vorbei ist? Was dann? Wie findet man zurück in den Alltag? Die beiden überlegen länger. Dann sagt Kay: „Uns ist klar, dass die Rückkehr nach Deutschland natürlich wieder eine große Umstellung wird, auch beruflich.“ Wie potenzielle Arbeitgeber auf die zwei Jahre umfassende Lücke im Lebenslauf reagieren, sei auch schwer vorherzusagen. „Aber für uns ist das ja alles andere als verlorene Zeit! Wir lernen bei wichtigen Soft Skills extrem viel dazu, wir entwickeln uns als Mensch und Persönlichkeit weiter.“
Realistisch und gelassen, so scheint das Paar in die Zukunft zu sehen. „Die Monate, die noch vor uns liegen, werden uns mit Sicherheit nachhaltig verändern, uns wachsen lassen“, sind sich beide sicher. Und Veränderungen dürften Franziska und Kay wohl ohnehin so schnell nicht mehr aus der Ruhe bringen.
Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald.
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