Der Typ nebenan hat die Stereoanlage voll aufgedreht. Im Erdgeschoss rumst dauernd die Tür zum Kinderzimmer. Und der Mieter im dritten Stock klimpert stundenlang auf dem Klavier. Jeder noch so gutmütige Mensch geht da irgendwann die Wände hoch. Gerade in der Pandemie, wo viele im Homeoffice sind, sich konzentrieren und trotz des Krachs zwischen Küchentisch und Kinderzimmer irgendwie arbeiten müssen. Lärm kann nerven – und auf Dauer sogar krank machen.
„Lärmbelästigung ist ein typischer Fall für Streitigkeiten in der Nachbarschaft“, weiß Beate Heilmann, Fachanwältin für Immobilienrecht in Berlin. Im Gespräch mit aktiv erklärt sie, wo die Grenzen sind. Grundsätzlich gilt: Normale Wohngeräusche wie Schritte, Töpfeklappern oder Stühlerücken muss man hinnehmen. Natürlich sollte jeder Bewohner „ein gewisses Maß an Rücksicht und Toleranz mitbringen, damit das Zusammenleben in der Hausgemeinschaft funktioniert“, sagt Heilmann. „Staubsaugen am Sonntagmorgen ist keine gute Idee, wenn man mit den Nachbarn auskommen will.“
Party und Musik: Nachts gilt Zimmerlautstärke
Vor allem die Nachtruhe ist wichtig: Zwischen 10 Uhr abends und 6 Uhr morgens sollte man dem Nachbarn jede Ruhe gönnen. Die ist sogar vom Gesetzgeber geschützt – während dieser Zeit gilt Zimmerlautstärke. Das bedeutet: Geräusche, zum Beispiel auch CD- oder TV-Klänge, dürfen außerhalb der Wohnung praktisch nicht zu hören sein.
Lautes Feiern ist entgegen oft zu hörender Vermutungen weder „einmal im Monat“ noch „dreimal im Jahr“ erlaubt! Also auch am Party-Abend ab 22 Uhr die Fenster schließen, die Musik leiser drehen – und die Gäste bitten, etwas ruhiger zu werden. Oder die Nachbarn gleich mit einladen: Wer dabei ist oder dabei sein könnte, wird sich wohl kaum beschweren. Zimmerlautstärke gilt normalerweise auch in der Mittagszeit zwischen 13 und 15 Uhr: Hier ist die Ruhe zwar nicht gesetzlich geregelt, aber in den meisten Hausordnungen um des lieben Friedens willen vorgeschrieben.
Abmahnung und Lärmprotokoll
Doch was tun, wenn sich ein Nachbar im Haus wiederholt nicht daran hält? „Zunächst ein klärendes Gespräch führen“, rät Anwältin Heilmann. Als zweiten Schritt sollte man sich schriftlich beim Krachmacher beschweren und ihn auffordern, den Lärm zu unterlassen.
Hilft das nichts, bleiben laut Mietrecht zwei Wege:
- Eine Beschwerde beim eigenen Vermieter einlegen. Er hat laut Gesetz eine Fürsorgepflicht und muss im Haus für Ruhe sorgen. Wie er das macht, ist seine Sache. Hilfreich ist ein Lärmprotokoll, in dem der genervte Mieter die Störungen mit Datum, Uhrzeit und eventuellen Zeugen ein paar Wochen lang notiert. Vorteil: Der Vermieter muss dann nicht erst selbst Beweise sammeln, sondern kann den störenden Nachbarn auf Grundlage dieser Aufzeichnungen gegebenenfalls abmahnen oder ihm im Extremfall sogar kündigen, vorausgesetzt, dass er auch Vermieter der Wohnung ist, von der die Lärmbelästigung ausgeht.
- Bei Lärm, den der Vermieter nicht unterbinden kann, darf die Miete gemindert werden. Dabei kommt es darauf an, wie stark der Lärm den Aufenthalt in der Wohnung beeinträchtigt. „Lautes Gedröhne und Gestreite jede Nacht ist eine starke Beeinträchtigung, bei der man die Miete unter Umständen um 20 Prozent mindern kann“, erklärt Heilmann.
Das Erreichen eines bestimmten Lärmpegels ist allerdings nicht zwingend erforderlich. Sind etwa Radiogeräusche von nebenan deutlich wahrnehmbar, sind sie bereits als störend anzusehen. In einem Reihenhaus hatte der Nachbar auf der Terrasse Außenlautsprecher angebracht und hörte darüber seit Jahren Radio (OLG München, 3.9.1991, 25 U 1838/91).
Lärmbelästigung: Nachbarn sehen sich vor Gericht – einige Beispiele
Man kann als Mieter auch selbst aktiv werden und per Anwalt Unterlassungsansprüche vor Gericht geltend machen. Da wird es allerdings knifflig: Die Beweislast trägt immer der, der sich gestört fühlt. Und die Gerichte entscheiden von Fall zu Fall.
Einige Beispiele:
- Mit Stöckelschuhen auf Laminat? Lieber nicht: Der Trägerin solchen Schuhwerks ist es zuzumuten, dieses an der Wohnungstür abzulegen, damit sich die darunter wohnende Mieterin nicht gestört fühlt (Landgericht Hamburg, 15.12.2009, S 14/09).
- Männer dürfen im Stehen urinieren, auch wenn die Nachbarn das Plätschern stört (Amtsgericht Wuppertal, 14.1.1997, 34 C 262/96).
- Körperhygiene im Badezimmer ist auch nach 22 Uhr erlaubt (Landgericht Köln, 17.4.1997, 1S 304/96).
- Duschen darf man dann allerdings nicht länger als eine halbe Stunde (Oberlandesgericht Düsseldorf, 25.1.1991, 5 Ss411/90).
- Wiederholtes lautes Streiten und Gestöhne beim Sex sind eine unzumutbare Belästigung (Amtsgericht Warendorf, 19.08.1997, 5C 414/97). Mieter dürfen keine Lustgeräusche verursachen, die die Zimmerlautstärke überschreiten, so das Gericht.
- Auch ständige Störungen bis in die Nacht hinein durch Streiten, Schreien, Poltern, Trampeln und Türknallen rechtfertigen eine Mietminderung von zehn Prozent. Solche Beeinträchtigungen gehen über das übliche hinzunehmende Maß hinaus (LG Berlin, 6.2.2015, 63 S 236/14).
- Zittern gar die Gläser im Schrank, weil die Mitbewohner im Haus gerne Party machen, kann man wegen der starken Lärmbelästigungen die Miete um die Hälfte mindern, entschied zumindest ein Gericht in Braunschweig (AG Braunschweig, 3.8.1989, 113 C 168/89 [9]).
- Was nachts auch nicht geht: lautes Werkeln. Das zeigt der Fall eines Bastlers, der munter den Motor seiner Säge laufen ließ. Die Richter ließen das Gerät beschlagnahmen (Oberlandesgericht Karlsruhe, 25.3.2010, 14 Wx 9/10).
Wann darf man Wäsche waschen und die Rolläden schließen?
Wer berufstätig ist oder am nächsten Tag verreist, stopft Klamotten gern mal noch spätabends oder nachts in die Waschmaschine. Der Schleudergang sorgt in der Wohnung drunter oder drüber meist nicht für Freude, je nachdem wie hellhörig die Behausung ist. Ärger vermeidet, wer sich an die vorgegebenen Ruhezeiten hält, in die Hausordnung guckt und sein Gerät auf eine spezielle Matte stellt, die die Schwingungen dämpft. Am Sonntag soll nach Artikel 140 des Grundgesetzes „Arbeitsruhe“ herrschen. „Maschinelles Wäschewaschen“ ist jedoch erlaubt. Bedingung ist, dass die Geräusche im üblichen Rahmen bleiben, was bei modernen Maschinen kein Problem sein sollte (OLG Köln, 17.11.2000, 16 Wx 165/00). Für Berufstätige, die Hausarbeit in die Abendstunden oder aufs Wochenende verschieben müssen, kann es Ausnahmen geben.
Auch rumsende Rollläden im Haus reißen mitunter ein friedlich schlafendes Kind aus seinen Träumen. Trotzdem darf man sie auch nach 22 Uhr noch schließen. Es gehört zur Natur der Sache, dass die Läden zur Nachtzeit benutzt werden, um Räume zu verdunkeln (AG Düsseldorf, 29.11.2010, 55 C 7723/10).
Klavierspielen erlaubt
Außerhalb der Ruhezeiten sind täglich zwei Stunden Musizieren erlaubt. „Klavier zum Beispiel kann man nicht in Zimmerlautstärke spielen“, so Expertin Heilmann. „Würde das vorausgesetzt, könnte man auf manchen Instrumenten zu Hause gar nicht üben.“
Bei sehr lauten Instrumenten legen die Gerichte mitunter strengere Maßstäbe an. Für einen 17-Jährigen legte das Landgericht München feste Übungszeiten am Schlagzeug fest. Ein neuer Hausbewohner setzte gerichtlich durch, dass der Jugendliche nur noch zwischen 16 und 19 Uhr von montags bis samstags eine halbe Stunde täglich üben durfte (Landgericht München I, 15 S 76/29/13).
Akkordeonspielen wurde in einer Doppelhaushälfte in Kleve auf maximal eineinhalb Stunden pro Tag begrenzt (LG Kleve, 1.10.1991, 6 S 70/90).
Ruhestörung durch Hundegebell
Trommeln kann man zum Schweigen bringen, einem Hund kann man das Bellen jedoch nicht verbieten. Jault das Tier den ganzen Tag, ist das aber ein Grund zur Beschwerde. Das Anbringen einer Pendeluhr wiederum gehört zum normalen Gebrauch einer Wohnung – auch wenn das halbstündliche Schlagen der Uhr in der Nachbarwohnung deutlich zu hören ist (Amtsgericht Spandau, 25.6.2003, 8C 13/3).
Kinder genießen übrigens besondere Freiheiten: Wenn die Kleinen poltern, toben, weinen oder schreien, muss das in der Regel geduldet werden. Allerdings gehören laute Spiele, etwa Üben mit den Rollerskates, nicht in den Flur, sondern nach draußen (Amtsgericht Celle, 17.6.2002, 11 C1768/01).
Auch wenn man sich gestört fühlt, ist nicht jedes Mittel recht, um Lärmbelästigungen abzustellen. Fehlende Rücksichtnahme ist beileibe kein Grund zum Einsatz von Gewalt, wie ein Fall aus Hessen zeigt: Zwei Streithähne kriegten sich wegen lauter Kreissägearbeiten während der Sportschau derart in die Wolle, dass einer der beiden Schürfwunden und eine dicke Beule am Kopf davontrug. Sein Kontrahent wurde deshalb wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu 800 Euro Schmerzensgeld verdonnert. Der 71-jährige Fußballfan hatte seinen betagten Nachbarn mit einem Knüppel auf den Kopf gehauen, weil dieser die lärmende Arbeit nicht unterbrechen wollte (AG Frankfurt/Main, 21.10.2021, 32 C 105/21 [86]).
Als Antwort mit dem Besenstil an die Decke klopfen? Oder wütend mit dem Hammer auf die Heizungsrohre dengeln? Mitnichten: Dem Betroffenen einer Lärmstörung steht kein Recht auf eine eigene Lärmstörung zu. Das fanden Richter in einem älteren, beispielhaften Fall in Hamburg: Weil ihn Kinderlärm von oben störte, schlug ein Mieter auf seinen Heizkörper ein, mehrmals und für mehrere Minuten. Dies musste er laut richterlichem Beschluss künftig unterlassen. Das Verhalten sei nicht geeignet, den Kinderlärm zu beseitigen. Verbotener Eigenmacht dürfe nicht mit verbotener Eigenmacht begegnet werden. Besser wäre es stattdessen gewesen, die Eltern anzusprechen oder anzuschreiben, um sie auf ihre erzieherischen Pflichten hinzuweisen, so der Tipp der Richter (Amtsgericht Hamburg, 28.11.1995, 47 C 1789/95).
Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.
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