Wenn der Bürgermeister von Zarrentin in Mecklenburg-Vorpommern verdiente Zeitgenossen zu Ehrenbürgern der Stadt ernennt, ist es üblich, dass die Kandidaten und alle anderen Gäste des Neujahrsempfangs vorab nicht eingeweiht werden. So war es auch in diesem Jahr, obwohl gleich drei Personen geehrt wurden.
Die Auszeichnung ging an die Hörakustikerin Heike Nörenberg, die sich für Kinder in der Dritten Welt engagiert, an den Steakhaus-Gründer Eugen Block, der Mitte 2023 ein Seehotel in Zarrentin eröffnet, und an Jörg Reimer, der als geschäftsführender Gesellschafter des Verpackungsmaschinenbauers Variovac 1995 aus dem Hamburger Süden in die ostdeutsche Stadt übersiedelte und hier mittlerweile rund 300 Arbeitskräfte beschäftigt.
Ehrenbürger-Würde verliehen
Reimer erhielt die Ehrenbürgerwürde aber nicht nur wegen seiner Entscheidung für Zarrentin und der umfangreichen Investitionen am Standort, sondern vor allem wegen seines Engagements für geflüchtete Familien aus der Ukraine. Denn der Diplom-Ingenieur startete 2022 unmittelbar nach dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine eine Hilfsaktion, die in dieser Form wohl ziemlich einzigartig in der Bundesrepublik sein dürfte.
Reimer: „Als am 24. Februar 2022 die ersten russischen Panzer rollten, haben wir sofort begonnen, in Zarrentin nach freiem Wohnraum zu suchen. Denn für uns war damals schon absehbar, dass nun viele Ukrainer ihre Heimat verlassen würden, um in den benachbarten Ländern Schutz zu suchen. Und wir wollten keine Flüchtlingsheime schaffen, sondern ein neues Zuhause für die Menschen, die in ihrem Land alles verloren hatten.“
Wohnungen beschafft, Mietkosten gezahlt
In enger Zusammenarbeit mit Zarrentins Bürgermeister und vielen befreundeten Firmen der Region konnten so binnen weniger Monate schon über 100 Personen nach Zarrentin und Umgebung geholt, untergebracht und versorgt werden.
„Wir haben etwa 25 Wohnungen angemietet“, erzählt Reimer. „Viele von ihnen brauchten zunächst eine neue Küche und eine Renovierung, außerdem mussten Möbel beschafft werden. Das alles haben wir teilweise mit Sachspenden finanziert, aber überwiegend aus Eigenmitteln.“
Unterstützung auf Ämtern
Das war aber noch nicht alles, auch die Mietkosten wurden über einen längeren Zeitraum von dem Verpackungsmaschinenhersteller übernommen. Und um den Neubürgern aus der Ukraine den Start so einfach wie möglich zu machen, sorgte das Variovac-Team hier ebenfalls für den nötigen Support. Reimer: „Wir unterstützen jede geflüchtete Person hinsichtlich Registrierung, Schulanmeldung, Internetzugang, Jobsuche und Freizeitgestaltung.“
Dieser unermüdliche Einsatz animierte auch andere Firmen aus Norddeutschland zu Hilfsaktionen. Eine von ihnen: der Fleischgroßhändler Peter Mattfeld & Sohn.
Lebensmittelpakete von Hamburger Firma
Auf seiner Website berichtete das Hamburger Unternehmen im Mai 2022: „Wir wollten sofort helfen, als wir von dem beeindruckenden Engagement des Maschinenbauers Variovac erfuhren. (…) Wir haben unser Sortiment gesichtet und für jeden der ukrainischen Haushalte in Zarrentin ein Paket geschnürt. Von Putzmitteln über Konserven, Saft, Nudeln, Öl, Essig, Wurst und Müsli bis zu Margarine, Kaffee und Tee haben wir zusammengepackt, was wir für sinnvoll hielten. Die Verteilung übernahm Variovac. Vielen Dank dafür!“
Variovac konnte schon über 100 Geflüchteten aus der Ukraine helfen
Um sicherzustellen, dass die Hilfe auch nachhaltig erfolgt und weiterhin finanziert werden kann, gründete Variovac zudem eine eigene Stiftung, die bereits anerkannt und ins Register eingetragen wurde. Das Projekt erwies sich allerdings als schwierig, wie Geschäftsführer Jörg Reimer berichtet.
Stiftung gewährleistet kontinuierliche Hilfe
„Das war schon ziemlich mühsam“, erinnert sich der Unternehmer. „Wir haben mehrere Monate daran gearbeitet und waren wirklich sehr motiviert, aber die deutsche Bürokratie macht es einem nicht leicht. Man braucht schon eine hohe Frustrationstoleranz, wenn man so eine Stiftung gründen will.“
Nachdem dieser Vorgang nun abgeschlossen ist, konnte die Stiftung endlich offiziell ihre Arbeit aufnehmen. Sie ist aktuell mit einem Kapital von über 150.000 Euro ausgestattet und wird regelmäßig durch Spender unterstützt. Daneben wird künftig laut Gründer Reimer ein fester Anteil des Unternehmensgewinns von Variovac in die Stiftung fließen und eine kontinuierliche Hilfe ermöglichen.
Früher Handelsbetrieb, heute Maschinenbauer
So ungewöhnlich wie das Ukraine-Engagement von Variovac ist auch die Geschichte des Unternehmens. Denn ursprünglich war die Firma kein Maschinenbauer, sondern ein Handelsbetrieb für Verpackungsmaschinen und Zubehör. Und der Sitz befand sich in Buchholz in der Nordheide, wo die Firma 1970 gegründet worden war.
Jörg Reimer: „Mit dem eigenen Maschinenbau haben wir erst 25 Jahre später angefangen, und zwar 1995, als wir an den Schaalsee umgezogen sind. Es war ein riskanter Plan, aber er ging auf. Heute sind wir in mindestens fünf Ländern unangefochtener Marktführer, und weltweit betrachtet gehören wir im Segment der Verpackungsmaschinenhersteller zu den Top Fünf.“
Export in rund 70 Länder
Die Kunden sitzen in allen Teilen der Welt, Variovac ist international ausgerichtet und exportiert in rund 70 Länder. Der Umsatz wurde in den vergangenen Jahren regelmäßig erhöht und liegt nun bei 60 Millionen Euro, aber das ist noch lange nicht das Ende der Fahnenstange, denn das Unternehmen soll weiter wachsen. Allein in diesem Jahr will Geschäftsführer Reimer 7,5 Millionen Euro investieren und zwei neue Hallen bauen.
Auch die Belegschaft wird weiter ausgebaut, obwohl sie bereits auf rund 280 Mitarbeiter gestiegen ist. Reimer: „Wir sind eigentlich immer auf der Suche nach motivierten Fachkräften, die unser hochqualifiziertes Team ergänzen, und haben derzeit einige sehr interessante Stellen im Angebot.“
Ausbildung hat einen hohen Stellenwert
Gleiches gilt für die Ausbildung, die bei Variovac eine hohe Priorität genießt. Momentan hat das Unternehmen 16 Azubis, die in sechs verschiedenen Lehrberufen ausgebildet werden; mittelfristig jedoch soll die Zahl so erhöht werden, dass die Ausbildungsquote bei ungefähr 10 Prozent liegt.
Kurzfristig allerdings steht erst noch ein anderes Projekt an: ein großer Frühlingsflohmarkt für die Ukraine-Hilfe. Der Termin wird kommuniziert, sobald die Planung steht.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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