Bonn. Der Krieg trifft auch die Landwirtschaft in der Ukraine: In diesem Frühjahr bleiben die fruchtbaren Äcker dort weitgehend unbestellt. Dem Land, einer Kornkammer der Erde, droht ein Ausfall der Ernte. Die Häfen sind blockiert. Und Russland hat für Weizen bis Juni einen Exportstopp verhängt.

Beide Staaten zusammen liefern in Friedenszeiten 30 Prozent der Getreide-Exporte der Welt. Der Krieg führt daher zu akuter Knappheit auf den Weltmärkten und lässt die Preise steigen. „Das wird Menschen, die arm sind, in den Hunger treiben“, befürchtet der Agrarökonom Professor Matin Qaim von der Universität Bonn. Binnen weniger Tage nach Kriegsbeginn stieg der Preis für Weizen steil auf 422 Euro pro Tonne, Ende März lag er bei rund 380 Euro. Normalerweise sind es unter 200 Euro.

Im schlimmsten Fall müssen 100 Millionen Menschen mehr hungern

Für viele Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Afrika könnte das zu einem massiven Problem werden. Über 50 Staaten beziehen mehr als 30 Prozent ihrer Getreide-Importe aus der Ukraine und Russland. Darunter der Libanon, Ägypten, Libyen, Kenia, der Jemen und Pakistan. „Im schlimmsten Fall, also wenn die Erntemengen aus der Schwarzmeerregion in diesem Jahr komplett ausfallen, kann die Zahl der hungernden Menschen um 100 Millionen ansteigen“, warnt Qaim.

Panzer bei Donezk in der Ukraine: Die Äcker werden in diesem Jahr wohl unbestellt bleiben.

Das könnte zu Unruhen und weiteren Flüchtlingsströmen nach Europa führen. UN-Generalsekretär António Guterres fordert: „Wir müssen alles tun, um einen Hurrikan des Hungers abzuwenden.“ Doch was kann man dafür tun?

EU erlaubt, Kraftstoffen weniger Biosprit beizumischen

Weniger oder kein Biosprit mehr herstellen, schlägt Experte Qaim vor: „10 Prozent der globalen Getreideproduktion werden für Biokraftstoffe genutzt. Damit könnte man die Exporte aus der Ukraine und Russland komplett ersetzen.“ Die EU erlaubt jetzt, Kraftstoffen weniger Biosprit beizumischen. Damit Fläche zur Nahrungsproduktion frei wird. Um große Effekte zu erzielen, müssten die USA und weitere Länder mitziehen.

Europas Landwirte dürfen dieses Jahr die von der EU vorgeschriebenen Brachflächen ausnahmsweise nutzen. Sofern die Bodenqualität es zulässt, können sie dort Weizen oder Gerste, Mais oder Sonnenblumen anbauen. Laut Deutschem Bauernverband bringt das 250.000 Hektar zusätzlich. Etwa 1,5 Millionen Tonnen mehr Weizen ließen sich so erzeugen.

Entbrannt ist auch eine Debatte über die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft in Europa. Die EU will mehr Ökoanbau, weniger Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sowie Dünger. Das senkt jedoch die Erträge.

EU-Kommission gibt sicherer Ernährung den Vorrang

Diese Strategie passe nicht in eine Zeit mit ausfallenden Getreidelieferungen, findet etwa Agrarkommissar Janusz Wojciechowski. Die EU-Kommission steuert nun leicht um. Sie will einer sicheren Ernährung den Vorrang geben und hat zwei Gesetze für ihre neue Agrarstrategie zurückgestellt. Die Debatte wird aber mit Sicherheit weitergehen.

Und was ist mit dem Verbraucher hier? Leere Regale muss er nicht fürchten. Aber Brot, Brötchen und Backwaren dürften deutlich teurer werden.

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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