Der Klimawandel kommt mit Macht: Hitze, Dürre, Stürme, Starkregen. Manche Nutzpflanzen halten starkem Wind nicht stand, viele verkümmern bei Trockenheit. 2018 gab es hierzulande die kleinste Getreideernte seit fast einem Vierteljahrhundert. Es müssen also dringend Nahrungspflanzen her, die der Erderwärmung trotzen können.

Wissenschaftler und Pflanzenzüchter setzen dabei auf eine neue gentechnische Methode, die sogenannte Gen-Schere, berichtet Professor Matin Qaim, Agrarökonom an der Uni Göttingen: „Damit können wir gezielt Nutzpflanzen züchten, die Hitze und Dürre besser ertragen. Und das geht schneller als mit herkömmlicher Züchtung allein. Der Klimawandel findet ja rasant statt.“

Forscher blockieren oder aktivieren einzelne Gene

Ein neuer Versuch, dem Verbraucher gentechnisch veränderte Pflanzen schmackhaft zu machen? Auf jeden Fall eine neuartige, revolutionäre Technik: Für die Gen-Schere (Kürzel: Crispr/Cas9) erhielten die Forscherinnen Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna im vergangenen Herbst den Nobelpreis.

Das Revolutionäre: „Mit der Gen-Schere kann man das Erbgut einer Pflanze gezielt an einer gewünschten Stelle verändern“, erklärt Qaim. „Die Schere schneidet den Erbgutstrang auf und löst unter Ausnutzung des zelleigenen Reparatursystems kleine Veränderungen aus, sogenannte Punktmutationen. Dadurch schaltet man bestimmte Genfunktionen an oder aus.“

231 marktorientierte Züchtungen mit der Gen-Schere

Und woher weiß man, was genau verändert werden soll? „Indem man etwa schaut, welche Gene und durch sie hervorgerufene Mechanismen die Gerste vor Pilzen schützen. Diese Mechanismen imitiert man dann im Weizen und macht ihn so auch pilzresistent“, erklärt Qaim. „Die Forscher nutzen also lediglich das Erbgut, das in der Pflanze ohnehin vorhanden ist.“ Möglich ist das, weil das Genom von immer mehr Nutzpflanzen vollständig analysiert ist. Nur ganz selten übertragen Wissenschaftler mit der Gen-Schere artfremde Gene.

2012 entwickelten Charpentier und Doudna die Methode, heute forschen Unis, Institute, Start-ups und Konzerne schon an vielen veränderten Pflanzen. Letztes Jahr zählte das Julius-Kühn-Institut in Quedlinburg 231 marktorientierte Studien. Ob Reis, Sojabohne, Tomate, Weizen, Hirse, Mais, Raps – bei 41 Pflanzen wurden neue Typen gezüchtet. Entstanden sind ertragreicherer Weizen, Mais mit höherem Zuckergehalt, Salat mit mehr Vitamin C oder pilzresistente Baumwolle. In den USA ist eine erste Pflanze schon im Handel.

Urteil des Europäischen Gerichtshofs bremst die Forschung aus

Die meisten Projekte gibt es in China (101), den USA (78) und Japan (17). In Deutschland sind es sieben. 2018 entschied allerdings der Europäische Gerichtshof, dass das strenge Gentechnik-Gesetz der EU auch für die Gen-Schere gelte. Das bremst die Forschung stark aus. 130 Professorinnen und Professoren deutscher Unis und Institute fordern deshalb eine Neubewertung der Gentechnik. 2022 will die EU die nun vornehmen. Denn Europa droht weiter zurückzufallen. Pflanzen-Gentechnik ist hier schon lange umstritten. Nur in Spanien und Portugal bauen Landwirte gentechnisch veränderte Pflanzen an, gegen Schadinsekten resistenten Mais.

Agrarökonom Qaim forscht zur Landwirtschaft in Afrika. Er sagt: „Wir Europäer können uns auch ohne Gentechnik ernähren, weil wir reich sind. Vielen Kleinbauern in Afrika fiele das mit den neuen Pflanzen allerdings viel leichter. Wenn aber die EU die Technik blockiert, werden viele afrikanische Länder das auch tun. Und die Bauern bekommen dann nicht die Chance auf bessere Ernten. Das finde ich tragisch!“

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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