Betriebe tun mehr, als nur die Wirtschaft am Laufen zu halten: Sie engagieren sich sozial und übernehmen Verantwortung. Einer, der die gesellschaftliche Positionierung von Unternehmen in Deutschland beobachtet, ist Joris-Johann Lenssen (41): Er ist Projektleiter des Thinktanks „Zivilgesellschaft in Zahlen“ (ZiviZ), einer Tochter des Stifterverbands.

Wie engagieren sich Unternehmen?

Einmal gibt es das gesellschaftliche Engagement wie Hilfsaktionen für die Ukraine oder die Unterstützung lokaler Vereine und Aktivitäten. Solche Aktionen benötigt ein Unternehmen nur bedingt für seine Wertschöpfung. Sie gehören also nicht zum Kerngeschäft. Zum anderen gibt es die Verantwortung von Unternehmen: Wie wird produziert, wie umweltfreundlich oder nachhaltig ist das Geschäftsmodell, wie wird die Belegschaft behandelt? Das ist Teil des Kerngeschäfts.

Wofür engagieren sich Unternehmen?

Meist für Bildung, Gesundheit und Sport. Auch auf die Flutkatastrophe im letzten Jahr haben die Unternehmen sehr schnell und stark reagiert und mit Sach-, Geld- und Zeitspenden geholfen. Firmen können sich aber auch politisch engagieren, das haben sie früher weniger gemacht. Hier geht es um gesellschaftspolitische Themen wie Corona und das Impfen. Auch bei der Ukraine sehen wir eine politische Positionierung. Das ist neu in der Unternehmenslandschaft und wird von den Mitarbeitern und anderen Stakeholdern aktiv eingefordert. Spannend ist auch das Engagement außerhalb des Standorts: Hier sehen wir etwa Mentoring-Programme, die online abgehalten werden. Das Know-how eines Unternehmens wird also digital transportiert. Das ist wichtig, weil sich Unternehmensengagement primär um die eigenen Standorte dreht. Der Trend kommt aus den USA.

Hat sich das Engagement verändert?

Unsere jüngste Umfrage hat gezeigt, dass während der Pandemie klassische Dinge wie Spenden oder Mitarbeiterfreistellung deutlich gesunken sind. Der Anteil der Firmen, die regelmäßig Geld spenden, sank von 54 Prozent vor der Pandemie auf 37 Prozent im November 2020. Der Anteil derer, die regelmäßig Sachspenden leisten, fiel von 44 auf 34 Prozent, Zeitspenden reduzierten sich von 35 auf 26 Prozent. Gründe sind der harte wirtschaftliche Druck und dass Corona weite Teile des öffentlichen und des Vereinslebens zum Erliegen gebracht hat.

Gibt es auch gute Nachrichten?

Ja. Das gesundheitliche Engagement wurde zum Beispiel spürbar ausgebaut. Der Anteil der Unternehmen, die hier aktiv sind, stieg mit der Corona-Krise von 19 auf 24 Prozent. Die Unterstützung reichte vom Einbau von Luftfiltern über Maskenspenden bis hin zu Freistellungen für die Pflege. Ein Blick auf die wichtigen Branchen Chemie/Pharma, Gesundheit/Sozialwesen und Verkehr/Logistik/Transport zeigt: Zwar ist überall das klassische Engagement im Jahr 2020 zurückgegangen. Dennoch steigerten die Chemie- und Pharma-Unternehmen die Anzahl eigener Projekte signifikant: Gesellschaftliches Engagement wurde selbst umgesetzt, die Unternehmen wurden vom reinen Förderer zum handelnden Akteur mit einer eigenen Engagementstrategie. Interessant ist, dass bei allen Branchen gleichzeitig das Thema nachhaltiges Wirtschaften deutlich nach oben gegangen ist. Das hat etwas mit der neuen Bundesregierung zu tun und mit unserer Gesellschaft, der diese Entwicklung heute sehr viel wichtiger ist als noch vor zehn Jahren.

Warum engagieren sich Firmen?

Primär für die Sache selbst. Aber Unternehmen sehen auch den Mehrwert für sich als Organisationen: Gesellschaftliches Engagement wird mehr und mehr zu einem Muss, um Talente anzuziehen und zu halten. Vor der Krise sagten 13 Prozent, sie wollten mit ihrem Engagement vor allem die Attraktivität des Unternehmens als Arbeitgeber steigern – im November 2020 stieg dieser Wert auf gut 21 Prozent. Es geht aber auch um die Bindung von Beschäftigten. 2018 gaben das rund 15 Prozent an, im März 2020 stieg der Wert auf 25 Prozent und blieb auch im November auf diesem Niveau.

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Sabine Latorre
Leiterin aktiv-Redaktion Rhein-Main

Dr. Sabine Latorre ist spezialisiert auf Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Nebenbei schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.

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