München. Im April beteiligten sich mehr als 1.100 bayerische Betriebe aller Branchen an einer Umfrage der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) und gaben an, welche Auswirkungen der russische Angriffskrieg auf ihr Geschäft hat. Dabei wurde deutlich, wie stark die Abhängigkeit vor allem in Bayern ist.
Der Hintergrund ist: Bayern wäre besonders betroffen von einem Lieferstopp von russischem Erdgas. Das hat auch geografische Gründe. Durch seine Lage in Deutschlands Südosten kommen in Bayern zwei Erdgas-Pipelines aus Osteuropa an: im Landkreis Passau bei Oberkappel (Österreich) und in Waidhaus im Kreis Neustadt an der Waldnaab an der tschechischen Grenze. Über beide Verbindungen fließt Gas, das in letzter Konsequenz direkt in Russland eingespeist wird. Dabei ist es so, dass 90 Prozent des Gases in Bayern aus Russland stammen – unabhängig davon, wo es bestellt wurde.
Erdgas deckt 20 Prozent des bayerischen Endenergieverbrauchs. 1,2 Millionen Haushalte im Freistaat sind an das Erdgasnetz angeschlossen und heizen damit. Noch im Jahr 2020 wurde knapp ein Drittel der Neubau-Immobilien in Bayern mit Gasheizungen ausgestattet, 20 Prozent haben Fernwärme gewählt – und auch Fernwärmekraftwerke setzen überwiegend Erdgas zur Erzeugung von Energie und Wärme ein.
Erdgas ist wichtiger Rohstoff in der chemischen Industrie
Die bayerische Chemie-Industrie nutzt Gas auch als Rohstoff für Vorprodukte – die in anderen Bereichen weiterverarbeitet werden. Insgesamt sind in 95 Prozent aller Industrieprodukte chemische Grundstoffe oder Vorprodukte enthalten. Können diese nicht mehr hergestellt werden, führt das zwangsläufig auch zu einem Produktionsstopp in vielen anderen Industriezweigen.
Größte Sorge der Betriebe laut der Umfrage der vbw: der steigende Energiepreis. Drei Viertel der Betriebe klagten darüber. Seit Kriegsbeginn war der Preis im Schnitt um 47 Prozent gestiegen. Etwa 16 Prozent der Betriebe wenden mehr als 10 Prozent des Umsatzes für Energiekosten auf.
Gravierende Auswirkungen hätte ein Gas-Embargo. 22 Prozent der Befragten müssten die Produktion einstellen. Bei energieintensiven Branchen wie Glas und Keramik sind das deutlich mehr, ebenso in Unternehmen der Metallerzeugung sowie der Chemie.
Über Alternativen denken zwar alle nach, an erster Stelle steht erneuerbares Gas. Allerdings ist dies bisher nicht oder nur in unzureichender Menge verfügbar. Für viele der Alternativen muss erst eine Infrastruktur geschaffen werden. Das ist nur auf längere Sicht möglich. Knapp 10 Prozent der Unternehmen können fehlendes Erdgas gar nicht durch andere Energieträger oder Rohstoffe ersetzen. 23,6 Prozent könnten nur Teile der Produktion gegen Alternativen austauschen.
IWH errechnet: Bruttowertschöpfung sinkt bei Gas-Lieferstopp aus Russland
Auch die deutschlandweite Untersuchung des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) schätzt die Bedeutung des russischen Erdgases als hoch ein. Es hat für ganz Deutschland ausgerechnet, welche Auswirkungen ein Gas-Lieferstopp aus Russland auf die einzelnen Regionen in Deutschland hat. Die Zahlen wurden bis auf Landkreisebene heruntergebrochen.
Besonders bedroht sind demnach alle Regionen, in denen das Verarbeitende Gewerbe ein starkes Gewicht hat. Denn dort kann das Gas nicht kurzfristig ersetzt werden, was zu Produktionsstopps führt. Das verringert dann die gesamte Wertschöpfung.
In Bayern trägt die Industrie etwa zu 25 Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung bei (Deutschland: etwa 23 Prozent), entsprechend hoch wäre die Betroffenheit. Das IWH errechnet einen Verlust von 6,9 Prozent an Bruttowertschöpfung für 2022/2023 im Freistaat, mit besonders dramatischen Auswirkungen in Kreisen der Oberpfalz, Oberfranken sowie in Schwaben. Etwa 492.000 Erwerbstätige wären laut IWH in Bayern betroffen und könnten ihre Jobs verlieren, das entspricht 6,4 Prozent.
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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