Berlin. Noch vor wenigen Wochen schien Deutschland der Rezession entronnen. Winterliche Energie-Engpässe waren ausgeblieben, mit den weltweiten Lieferketten kam auch die Produktion wieder in Gang. In ihrer Frühjahrsprognose rechnete etwa die Bundesregierung noch mit einem Wirtschaftswachstum von 0,4 Prozent für 2023.

Entwicklung deutlich schlechter als erwartet

Doch kürzlich dann der Donnerschlag: Das Statistische Bundesamt meldete überraschend schlechte März-Werte, gerade auch für die Industrieproduktion: minus 2,0 Prozent. Damit steckte ganz Deutschland seit einem halben Jahr in der Rezession.

Die immer noch hohen Energiepreise, Inflation, teurere Kredite, unsichere wirtschaftliche Aussichten, ohnehin deftige Steuern und Abgaben, Bürokratie – ein ganzer Krisen-Cocktail belastet Betriebe wie auch Verbraucher stärker als erwartet. „Erschreckend“, nennt das Jens-Oliver Niklasch von der Landesbank Baden-Württemberg. Und Nils Janssen vom Kieler Institut für Weltwirtschaft schraubt seine eigene Prognose für 2023 kräftig zurück: „Ich rechne jetzt eher mit Stagnation.“

Wie es weitergeht, hängt gerade auch vom Lauf der für unser Land so wichtigen Industrie ab. Derzeit herrscht in den Betrieben nicht gerade Aufbruchsstimmung. Zuletzt sackte der Ifo-Geschäftsklima-Index für das Verarbeitende Gewerbe wieder unter die Nulllinie. „Die Wirtschaft blickt skeptisch auf den Sommer“, kommentiert Professor Clemens Fuest, Chef des Ifo-Instituts.

-2,0 Prozent Einbruch der Industrieproduktion im März

Wird Deutschland wieder zum Sorgenkind Europas? Jedenfalls hängen wir verglichen mit anderen Ländern wieder hinterher – nach langen Jahren als europäische Wachstumslokomotive. Doch nun spielt die Musik anderswo: Italien beispielsweise dürfte 2023 wirtschaftlich um immerhin 0,75 Prozent zulegen, Japan um 1 Prozent. In den USA ist von Rezession ebenfalls keine Spur mehr. Das zeigt die Auslandsprognose des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW). Und auch die EU-Kommission sieht Deutschland für das laufende Jahr unter den Wachstums-Schlusslichtern Europas.

Betriebe verlagern Produktion und Jobs

Was also tun? Für Bundesfinanzminister Christian Lindner steht fest: „Der Auftrag geht an die Politik.“ Nötig sei eine „wirtschaftspolitische Zeitenwende“. Dazu gehöre ein ganzes Bündel an Maßnahmen: etwa bessere Investitionsbedingungen inklusive einer stärkeren Förderung der Forschung, schnellere Genehmigungsverfahren etwa mit Blick auf die Verkehrs- und Energienetze sowie die Anwerbung ausländischer Fachkräfte. Steuererhöhungen werde es dagegen nicht geben – eher weitere Entlastungen.

Die Zeit zum Handeln drängt. Das unterstreicht eine aktuelle Firmenumfrage des Industrieverbands BDI: Demnach verlagert bereits jeder siebte Betrieb Teile seiner Produktion sowie Arbeitsplätze ins Ausland. Gerade auch der Mittelstand, der entscheidend ist für Wachstum und Wohlstand hierzulande, blickt skeptisch auf die wirtschaftliche Lage. BDI-Präsident Siegfried Russwurm betont: „Für die Situation am heimischen Industriestandort gibt es keine Entwarnung.“

Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

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