Enjoy macht ihrem Namen Ehre. Die Hundedame spaziert ins lichtdurchflutete Atrium des Altenzentrums Albertus-Stift in Gau-Algesheim – und genießt es. Sie tapst zu Wolfgang Weiler, einem ihrer Stammkunden, der an einem der quadratischen Tische sitzt, und lässt sich kraulen, bevor sie sich hinlegt. Dann steht sie auf, durchquert den Mini-Urwald aus Bäumen, Palmen und anderen Pflanzen, den die Caritas hier angelegt hat, und gesellt sich zu Katharina Kramer und Doris Ehrengard. Frau Kramer kennt sie erst seit dem Vortag, und doch ist da gleich eine große Vertrautheit. Schnauze aufs Knie, Pfote auf den Oberschenkel. Auch die Bewohnerinnen und Bewohner des Seniorenheims genießen Enjoys Besuche sichtlich. „Für mich bedeutet sie Freude“, lächelt Frau Kramer. „Gestern kam sie ins Zimmer und hat sich gleich vor meine Füße gelegt.“
Erdung und Abwechslung
„Hier zu sein, erdet mich“, sagt Enjoys Herrchen Markus Weingärtner, während er seiner Hündin zusieht. Der 54-Jährige arbeitet im Supply Chain Management für die Verpackungslinien beim Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim, nur wenige Kilometer vom Heim entfernt. Jeden Donnerstagnachmittag aber ist das engagierte Mitglied der Malteser mit seinem ausgebildeten Besuchshund eine Stunde im Stift zu Gast. Möglich macht es die Vertrauensarbeitszeit bei Boehringer: Die Stunden, die er im Ehrenamt verbringt, kann er einfach nacharbeiten. „Den Menschen im Heim bringen wir Abwechslung. Und für mich relativiert das viele Probleme aus dem Job oder dem Alltag“, sagt der ausgebildete Chemielaborant. „Wenn man sich manche Schicksale hier ansieht, machen wir uns im Vergleich manchmal doch viel zu viele Gedanken um Kleinigkeiten.“
Enjoy ist ein Elo, eine Mischung aus Eurasier, Bobtail und Chow-Chow. Hervorstechende Merkmale: ein äußerst sanftes Wesen und ein üppiges, geschecktes Fell, in dem sich vier Kaninchen verstecken könnten. Bevor Weingärtner Enjoy mit ins Seniorenheim nehmen durfte, mussten beide eine Ausbildung durchlaufen, neun Monate mit Hundetrainern, inklusive Abschlussprüfungen für Hund und Herrchen. Weingärtner hat jetzt den Hundeführerschein, Enjoy lernte unter anderem, nichts vom Boden aufzusammeln. Schließlich könnten im Heim leicht Tabletten herumliegen. „Man muss schauen, wofür ein Hund geeignet ist“, erklärt Weingärtner. Die einen fürs Besuchen, die anderen zum Beispiel für den Rettungsdienst. Für einen Suchhund sei Enjoys Nase zu schlecht. „Dafür ist sie sensibel, was die Stimmungen von Menschen angeht.“
„Ein Hund hat einen ganz anderen Zugang zu den Bewohnern“
Die Weingärtners sind sozusagen Veteranen dieses Engagements: Markus Weingärtners Ehefrau Monika hat den Besuchshundedienst der lokalen Malteser aufgebaut und war mit dem inzwischen 13-jährigen Aladin – ebenfalls einem Elo – lange Gast im Stift. 2022 ist Aladin in Rente gegangen. Wer seiner achtjährigen Nichte Enjoy eine Zeit lang zusieht, merkt rasch, dass auch sie ihre Rolle als Ablenkerin und Aufmunterin gefunden hat und bestens ausfüllt. Mal bleibt Weingärtner mit ihr im Atrium des Heims, mal dreht er Runden zu den Zimmern seiner Stammkunden, von denen manche bettlägerig sind oder die Öffentlichkeit scheuen.
Den Wert solcher Besuche kann man kaum überschätzen: „Mit Aladin waren wir bei Menschen, die haben nicht mit dem Pflegepersonal gesprochen – aber mit dem Hund“, berichtet Weingärtner. „Der Hund ist quasi eine neutrale Instanz, dem ist egal, ob jemand pflegebedürftig ist oder eine Behinderung hat.“ Das bestätigt auch Einrichtungsleiterin Constanze Peil, die Enjoy seit deren erstem Besuch vor sieben Jahren kennt: „Ein Hund hat einen ganz anderen Zugang zu den Bewohnern, das ist unheimlich wertvoll.“ Petra Ebling vom Sozialen Dienst ergänzt: „Markus besucht auch Bewohnerinnen, die kognitiv sehr stark eingeschränkt sind. Zu ihnen können wir über den Hund eine super Beziehung herstellen.“
Corona hat das Ehrenamt gebremst
Die Lockdowns von Pflegeheimen nach dem Corona-Ausbruch waren allerdings schwierig. „Wir standen vor der Fensterfront, und die Hunde haben überhaupt nicht verstanden, warum sie nicht reindurften. Die Menschen genauso wenig“, erinnert sich Weingärtner. Die Pflegebedürftigen litten unter der Abschottung, viele starben einsam. „Katastrophal“ nennt Weingärtner diese Zeit. Auch heute verändern die Einschränkungen vieles: Die Kommunikation auf Abstand und mit Maske bleibt schwierig. Hinzu kommen gesellschaftliche Spätfolgen wie der weitere Rückgang des ohnehin schrumpfenden Freiwilligen-Engagements: „Wir hatten mal 41 Ehrenamtliche“, sagt Ebling, „davon sind jetzt noch 19 aktiv.“
Dass Menschen wie Weingärtner überhaupt so engagiert sein können, rechnet sie Boehringer hoch an. Flexible Arbeitszeiten seien „ein großes Plus“, um auch Berufstätigen das Ehrenamt zu ermöglichen, sagt Ebling. „Viele andere Ehrenamtliche sind in Rente, und bei den jüngeren Generationen haben sich die Lebensentwürfe geändert. Denen muss man den Freiraum für Engagement erst einmal schaffen.“ Weingärtner hat sich jedenfalls schon vorgenommen, dass er auch als Rentner seinen Freiraum für soziales Engagement nutzen möchte. „Ich will ja etwas Sinnstiftendes tun.“ Für heute geht es aber erst einmal nach Hause. Enjoy verliert gerade etwas den Spaß: Sie ist hundemüde.
Unterstützt von Wir.Hier.