Witten. Ihre erste Puppe hat Tatjana Schmidt direkt auseinandergenommen. Arme, Beine, Augen – ließ sich alles abmontieren (und wieder zusammenbauen). Da war sie fünf oder sechs. Mit 13 stand sie, zum Entsetzen ihrer Mutter, an der Kreissäge, für die Puppenmöbel. „Es ging halt schneller und ich wusste, dass ich das kann“, sagt sie und lacht. Dieses Vertrauen hat der Vater ihr vermittelt: „Er hat mir viel erlaubt und mich immer beim Rumbasteln unterstützt.“
Aus der Puppe sind mächtige Metallteile geworden, aus der Kreissäge CNC-Maschinen und Schweißgerät. Tatjana Schmidt macht bei ZF Industrieantriebe in Witten ihre Ausbildung zur Industriemechanikerin.
Die Arbeit mit dem Metall fasziniert sie. „Wenn man es bearbeitet, fühlt es sich an wie Butter. Es schmilzt dahin, man kann etwas Neues daraus formen“, meint sie. Nach der Abschlussprüfung jetzt im Sommer wird sie mit reichlich Metall zu tun bekommen. Sie wechselt in die Montage, wo die großen Getriebe für Industrieanwendungen gebaut werden, für Bagger, Kräne, Tunnelbohrmaschinen oder Seilbahnen. Mehrere 100 Kilo wiegt das kleinste Getriebe, bis zu 1,5 Tonnen bringen die großen auf die Waage.
Weibliche Azubis sind bei ZF in Witten keine Seltenheit
Tatjana Schmidt hat ihren Platz gefunden, auch wenn es etwas länger gedauert hat. Sie ist 37 Jahre alt – die viel jüngeren Azubi-Kollegen nennen sie liebevoll auch schon mal „Mami“. Das nimmt sie mit Humor. Ihre Töchter sind 14 und 11 Jahre alt. Aber sie wollte es noch mal wissen: „Es ist mein zweiter Ausbildungsversuch.“ Der erste als Feinwerkzeugmechanikerin nach dem Fachabi scheiterte. „Es war ein kleiner Betrieb, eine andere Zeit. Für mich als Mädchen war es sehr schwer, meine Position zu finden“, erinnert sie sich. Sie brach die Ausbildung ab, arbeitete aber weiter im technischen Bereich. Es lief gut, aber die Motivation war weg, die Kinder kamen, die Zeit verging. „Bis ich doch an dem Punkt war: Ich will weiterkommen“, sagt sie und nahm dafür auch die vorübergehenden Gehaltseinbußen in Kauf.
Das Lernen fiel anfangs noch etwas schwer
Bei ZF rannte sie als Frau offene Türen ein. „Wir haben schon viele Mädchen ausgebildet. Da sind wir stolz drauf“, sagt der technische Ausbildungsleiter Peter Wiecek. Neuland habe man dagegen mit dem Alter betreten, gibt er offen zu: „Wir haben uns schon Gedanken gemacht. Aber die klar erkennbare technische Ausrichtung und ihr Wille haben uns überzeugt. Diesen Schritt zurückzugehen, um Gas zu geben, das hat uns beeindruckt.“ Tatjana Schmidt bringe Ruhe und Lebenserfahrung ins Team, davon würden alle profitieren.
„Meine Töchter fanden es witzig, als ich mit meinem ersten Zeugnis nach Hause kam“
Das Unternehmen wiederum macht der Alleinerziehenden die Verbindung von Familie und Beruf leicht. Die Zeit für den morgendlichen „Weck-Anruf“ zu Hause, ein halber Tag frei für den Elternsprechtag oder schnell mal raus zu können, wenn was passiert ist, sei kein Problem, sagt die Azubine. Sie profitiert von ihrer Berufserfahrung, hat vieles neu ausprobieren können. Für ihre Abschlussprüfung, die sie aufgrund der guten Leistungen vorzeitig macht, bringt sie eine 5-Achs-Zerspanungsmaschine inklusive Wartungsplänen auf Vordermann – eine Aufgabe, die ihr liegt und in der sie das Gelernte einsetzen kann.
„Das finde ich spannend. Ich lerne gerne“, sagt sie, auch wenn sie anfangs doch gedacht hatte, dass es etwas einfacher ist. Hausaufgaben machen sie zu dritt. „Meine Töchter fanden es witzig, als ich mit meinem ersten Zeugnis nach Hause kam.“ Ihren Ranzen möchten beide erben, wenn die erfolgreiche Mama ihn bald nicht mehr braucht.
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Technik-Interesse habe ich schon von klein auf. Es ist schön, wenn man dann unterstützt wird und sich entwickeln darf.
Was reizt Sie am meisten?
Es ist ein tolles Gefühl, Metall zu bearbeiten und daraus etwas Neues, Nützliches zu schaffen.
Worauf kommt es an?
Man braucht Selbstvertrauen und sollte ausprobieren, was einem das Bauchgefühl sagt. Und die Umgebung muss stimmen.
Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, in Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten.
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