Der Klimawandel macht den Kampf gegen den Hunger nicht leichter. Rund 735 Millionen Menschen haben zu wenig zu essen. Und ein Ende des Leids ist nicht in Sicht.

Hoffnung kommt von der Wissenschaft. Forscher wollen Nahrungspflanzen züchten, die auch bei Hitze und Trockenheit gute Ernten liefern. Die neue, präzise Gentechnik mit der Gen-Schere soll das möglich machen.

„Das ist keine radikale Kehrtwende in der Gentechnik-Regulierung“

In vielen Staaten der Welt wird die schon genutzt. Jetzt will auch die EU-Kommission mit einer neuen Verordnung Züchtung und Anbau so veränderter Pflanzensorten für Nahrung und Futter erleichtern. Vorausgesetzt, die Pflanzen enthalten keine artfremden Gene und könnten auch durch herkömmliche Züchtung oder natürliche Mutationen entstehen. So erklärt der Agrarökonom Professor Matin Qaim von der Uni Bonn das Prinzip des Entwurfs.

„Das ist keine radikale Kehrtwende in der Gentechnik-Regulierung!“, betont er im Gespräch mit aktiv: „Die mit klassischen gentechnischen Methoden erzeugten Pflanzen bleiben weiter streng reguliert, die Verbote in vielen EU-Staaten gültig.“ Herbizidtoleranter Mais mit Bakterien-Genen bleibt beim Vorschlag der Kommission ein No-Go! Trotzdem protestieren Umweltschützer gegen die Pläne. Die Debatte über die Gentechnik ist also wieder eröffnet. Zumal EU-Parlament und Ministerrat noch entscheiden müssen.

Das Erbgut vieler Nahrungspflanzen ist vollständig analysiert

Doch was ist bei den neuen Züchtungen anders? Professor Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie, der seit Jahren mit der Gen-Schere arbeitet, erklärt das so: „Heute ist das Erbgut vieler Nahrungspflanzen vollständig analysiert. Anders als früher wissen wir genau, wo wir am Erbgut-Molekül ansetzen müssen, um bestimmte Eigenschaften einer Pflanze zu verändern. Und mit der Gen-Schere können wir das punktgenau an der gewünschten Stelle.“

Mit deren Schnitt rufen die Forscher Mutationen im Erbgut der Pflanze hervor. Dadurch schalten sie eins ihrer Gene oder mehrere auf „wirksam“ oder „wirkungslos“. Oder sie bauen gezielt ein oder wenige Gene in ihr Erbgut ein. Dafür dürfen sie laut Gesetzentwurf nur Gene von einer mit dieser Pflanze kreuzbaren Art nehmen, aber nicht artfremde Gene etwa von Bakterien.

Veränderte Kartoffel spart 80 Prozent der Pflanzenschutzmittel

Ein Beispiel: Niederländische Forscher haben in Kartoffeln drei Resistenzgene aus Wildkartoffeln eingeführt. Die schützen die Pflanzen vor der gefürchteten Kraut- und Knollenfäule. Das wäre erlaubt. Beim Anbau sind nun 80 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel nötig. Genau solche Effekte wünscht sich die EU-Kommission, sagt Professor Qaim: „Sie will eine umweltschonende Landwirtschaft, die weniger Pflanzenschutzmittel und Dünger braucht oder ertragreicher ist.“

Mit der Gen-Schere veränderte Pflanzen sind so sicher wie herkömmliche Züchtungen, stellt Qaim fest. Nach der geplanten Verordnung müssten sie nur angemeldet, Lebens- und Futtermittel daraus aber nicht gekennzeichnet werden. Nur Saatgut wäre zu deklarieren. Damit Ökobauern es erkennen und vermeiden können.

Die USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Australien, Japan und China behandeln die neuen Züchtungen bereits wie normale herkömmliche Züchtungen. Das hat einen Forschungsboom ausgelöst. Bei 70 Kulturarten gibt es Entwicklungen. Zum Schutz gegen Pilzkrankheiten, für gesündere Nährstoffe oder für eine effektivere Aufnahme von Stickstoffdünger aus dem Boden. Qaim: „In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird da vieles möglich.“ Vielleicht auch Pflanzen, die für den Klimawandel besser gewappnet sind.

Pflanzenzüchtung mit neuer Technik

  • Forschungsboom: 426 Forschungsprojekte zählte das EU-Forschungscenter JRC 2021 weltweit, davon 154 Vorhaben in den USA sowie 86 in China.
  • Züchtungsziele: Bei den Projekten geht es überwiegend um bessere Nährstoffe, mehr Resistenz gegen Schädlinge oder mehr Ertrag. Viele Vorhaben wollen höhere Widerstandsfähigkeit gegen Hitze, Trockenheit oder versalzte Böden erzielen.
  • Auf dem Markt: Das sind in einzelnen Ländern bereits Orangenbäume, die gegen Zitruskrebs resistent sind, Sojaöl mit mehr gesunder Ölsäure, Tomaten mit mehr blutdrucksenkendem Botenstoff und Mais, der nur industriell nutzbare Stärke erzeugt.
Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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