Früher gaben Führungskräfte in Unternehmen die Richtung vor, ihr Wort war Gesetz, Autonomie und Mitsprache der Beschäftigten waren nicht gerne gesehen. Ist das noch so? Wie es auf den Chefetagen derzeit aussieht und wohin sich Führung entwickelt, weiß Nico Rose: Der Wirtschaftspsychologe, der viele Jahre für die Bertelsmann-Gruppe tätig war, ist angesehener Buchautor und Führungskräfte-Coach.
Welche Menschentypen findet man heute in Führungsetagen?
Es gibt Patriarchen der alten Schule wie zum Beispiel Wolfgang Grupp, den Chef des Textilunternehmens Trigema. Der sagt: Ich bin der Chef, es ist mein Kapital, mein Laden, hier bestimme ich!
Und es gibt Unternehmen wie das Software-Haus Haufe-Umantis. Bei dem wählen die Mitarbeiter seit 2013 jedes Jahr ihre Chefs neu. Von klassischer Hierarchie bis freie Wahl – die ganze Bandbreite existiert gerade nebeneinander.
Dann hat der klassische Chef wohl ausgedient …
Noch beherrscht der Glaube an eine zentralisierte Steuerung von Menschen und Organisationen die Führungsetagen. Zielvereinbarungen und die Messbarkeit von Zielen sind bis heute wichtige Parameter. Hier kehrt langsam Ernüchterung ein, was viel mit der sich verändernden Welt zu tun hat. Sie ist komplex und unvorhersehbar geworden: Demografischer Wandel, Globalisierung, Digitalisierung und Individualisierung lassen am traditionellen Bild von Führung zweifeln.
Je schneller sich die Umwelt entwickelt, je fragmentierter das Marktumfeld ist, umso weniger helfen starre Top-down-Strukturen. Informationen aus dem Markt brauchen zu lange, um bis zur Firmenspitze zu gelangen und von dort wieder ausgerollt zu werden – das kann mehrere Jahre dauern.
Wie reagieren die Unternehmen auf diesen Wandel?
Sie geben immer mehr Entscheidungsfreiheit an die Mitarbeiter, weil diese flexibler auf Veränderungen im Markt reagieren können. Aber auch die Gesellschaft ändert sich. Die Mächtigen werden machtloser. Man denke nur 120 Jahre zurück: Hätte damals jemand den deutschen Kaiser kritisiert, er wäre festgenommen worden.
Heute kann jeder die Kanzlerin doof finden, diese Meinung verbreiten, und es passiert nichts. So ist es auch im Betrieb: Hat man sich früher gegen den Chef gestellt, wurde man bisweilen gefeuert. Heute sollte es normal sein, Vorgesetzte kritisieren zu können.
Was zeichnet einen guten Chef aus?
„KAARMA“, eine Abkürzung und Ergebnis meiner Forschung. „K“ steht für Klarheit: Der Chef erläutert die Ziele des Unternehmens, der Abteilung, des Teams und gibt Orientierung. „A“ ist Authentizität: Ist der Chef in seiner Rolle glaubhaft? Das zweite „A“ bedeutet Aktualisierung: Der Vorgesetzte kennt mich gut und ist in der Lage, meine Stärken, Interessen und Wünsche meinem Aufgabenfeld im Lauf der Zeit anzupassen. „R“ ist Respekt: vor den Mitarbeitern, deren Arbeit, deren Zeit und Problemen. „M“ steht für Mehrwert: Die Führungskraft zeigt, wie mein persönlicher Arbeitsbeitrag mit dem Großen und Ganzen zusammenhängt. Das letzte „A“ steht für Autonomie: Der Chef delegiert nicht nur Aufgaben, sondern gibt auch Verantwortung ab.
Aber das Ziel ist doch immer der Erfolg der Firma?
Genau. Und der Weg dorthin bedeutet, man muss seine Leute nicht nur gut bezahlen, sondern auch inspirieren, sie immer wieder einladen und einen Sinn im Tun vermitteln. Die Mitarbeiter sollen sich einbringen und entwickeln. Diese „transformationale Führung“ streben viele Unternehmen an. Davon abgrenzen lässt sich „transaktionale Führung“, also Belohnung und Bestrafung, Arbeit gegen Geld.
Von dort kommen wir. Aber wenn sich Märkte ändern und Unsicherheit eintritt, gelangen Kommandieren und Kontrollieren schnell ans Ende. Negative Führung zieht zudem negative Kreise, denn Informationen über Kultur, Gehalt, Führung oder Benefits eines Unternehmens kann jeder googeln und auf Bewertungsplattformen nachlesen. Dann bewerben sich keine guten Leute mehr, was den Talent-Pool verkleinert. Zudem vergrault man die eigenen Leistungsträger. Und das kann sehr schnell sehr teuer werden.
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Dr. Sabine Latorre war bei aktiv 22 Jahre lang die Spezialistin für Themen aus der Chemie- und Pharma-Industrie – bis zu ihrem Rentenbeginn im April 2024. Sie liebt es, komplizierte Zusammenhänge einfach darzustellen – so schon vor ihrer Zeit bei aktiv als Lehrerin sowie als Redakteurin für die Uniklinik Heidelberg und bei „BILD“. Außerdem schreibt sie naturwissenschaftliche Sachbücher für Kitas und Schulen. Privat reizen sie Reisen sowie handwerkliche und sportliche Herausforderungen.
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