Mönchengladbach/Kempen. „Wer kommt am Donnerstag zur Party?“ Wenn die Whatsapp-Gruppe „Erstis Winter 2021“ mal wieder über diese Frage diskutiert, bleibt Lisa Heynen meist stumm. Dabei liebt die 22-Jährige Studentenpartys. Allerdings nicht donnerstags: „Freitagmorgen können die anderen noch schlafen“, sagt sie, „bei mir fängt um sechs die Schicht an.“

Das daher etwas eingeschränkte Studentenleben ist so ziemlich das Einzige, das der Anlagen- und Maschinenführerin Textilveredelung an ihrem Studium nicht gefällt. Seit Herbst 2021 ist sie an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach für den Bachelor-Studiengang Textile Technologien mit Schwerpunkt Textiltechnik eingeschrieben – aber nur für zwei Tage die Woche. Die restliche Zeit arbeitet Heynen beim Textilhersteller Dimension Polyant in Kempen. Dort hat aktiv die Teilzeit-Studentin besucht.

Tuche vom Niederrhein für Segler auf allen Weltmeeren

Fotos von Segeljachten und Surfern zieren den Eingang des Unternehmens. Kunden und andere Gäste sollen sofort sehen, welche hochwertigen Produkte hier entstehen. „Wir produzieren Segeltuch für die Hälfte des Weltmarkts“, erklärt Stefan Nauber, Betriebsleiter (COO) der Firma. Segeltücher aus Kempen werden etwa auf dem Marinesegler „Gorch Fock“ oder auf dem grünen Schiff aus der Becks-Bier-Werbung gehisst.

Heynen hat hier mit 18 ihre Ausbildung zur Maschinen- und Anlagenführerin Textil angefangen. Direkt nach dem Abitur – und als erste Frau überhaupt in der Produktion des 100-Mann-Betriebs. Ihr Fachbereich: die Ausrüstung. „In der Weberei wird das Produkt gewebt, in der Ausrüstung veredelt“, erklärt Heynen. In den Maschinen, die sie bedient, wird das Gewebe geharzt oder mit Chemikalien beschichtet, um es robust gegen UV-Strahlen oder Wasser zu machen. Am Schluss werden die Tuche zugeschnitten und gehen raus an die Kunden, also an Segelmacher in aller Welt.

Die Augen der jungen Frau leuchten, wenn sie von ihrem Beruf erzählt. Etwa in der Produktionshalle vor der Thermofixier-Maschine: Hier werden Stoffbahnen erhitzt und geschrumpft. Mehr noch als die Anwendung der Maschinen interessiere sie aber die Technik, sagt Heynen. „Deshalb hatte ich nach der Ausbildung Lust, mich zu spezialisieren.“ So hängte sie ein Jahr Weiterbildung zur Produktveredlerin Textil an. In der Berufsschule erfuhr sie schließlich von der Möglichkeit des Teilzeit-Studiums.

„Den Studiengang textile Technologien gibt es an sich schon länger, aber das Teilzeit-Format ist neu“, erklärt Detlef Braun, Geschäftsführer der Textilakademie Mönchengladbach. Die Akademie, die mit der Hochschule nebenan eng kooperiert, stand Pate bei der Idee. „Die Vorteile gegenüber einer Technikerinnenausbildung liegen auf der Hand“, sagt Braun. „Die Studierenden haben weiterhin ein Einkommen, der Bachelor-Abschluss ist hochwertiger als eine Weiterbildung und die Bindung ans Unternehmen bleibt.“

Natürlich sei das Studium stets auch eine Herausforderung: „Die Studienzeit verlängert sich.“ Das Grundstudium in Teilzeit dauert eben vier Semester statt zwei wie bei Vollzeit-Studenten.

„Die Studierenden haben ein Einkommen, der Abschluss ist hochwertiger und die Bindung ans Unternehmen bleibt.“

Detlef Braun, Geschäftsführer Textilakademie Mönchengladbach

Fragen aus dem Seminar können die Kollegen beantworten

Bei Dimension Polyant musste für das neue Format einiges umgestellt werden. „Ein Studium verträgt sich schlecht mit dem Drei-Schicht-Betrieb“, sagt Betriebsleiter Nauber. Deshalb habe man der Kollegin eine Frühschicht an drei Tagen möglich gemacht – und eine Vollzeitstelle in den Semesterferien. Und auch Nauber betont: „Der enge Kontakt zum Unternehmen bleibt. Bei einem Vollzeitstudium wäre das sicher anders.“

Heynen hat Spaß daran, ihre Kenntnisse an der Hochschule zu vertiefen, etwa in puncto Faserherstellung oder bei der Entwicklung neuer Materialien. Ihr hilft es, weiter „in der Praxis“ zu sein. „Wenn ich technische Fragen aus dem Seminar habe, kann ich die Kollegen an der Maschine anhauen“, sagt sie. „Meine Kommilitonen können nur ihre Mitstudenten fragen.“

Neun Semester werde ihr Studium dauern, schätzt Heynen. Die ersten vier in Teilzeit, die folgenden fünf in Vollzeit, anders wäre der volle Stundenplan kaum zu schaffen. Das „echte“ Studentenleben steht für Lisa Heynen also noch bevor. Inklusive Partys am Donnerstagabend.

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Technik hat mich schon immer interessiert. Nach dem Abi wollte ich erst mal was Praktisches machen. Also habe ich mich umgeschaut und die Ausbildung zum Maschinenführer gefunden.

Was reizt Sie am meisten?

Die Möglichkeit, immer tiefer ins Thema Textil einzusteigen. Etwa durch mein aktuelles Studium.

Wie ist es als Frau im Männerjob?

Super! Ich hatte immer schon einen guten Draht zu Männern. Und wenn mir doch mal ein Spruch reingedrückt wird, kommt von mir einer zurück.

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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