Köln. Für viele Grundschulkinder endet der Schultag schon vor zwölf. Einen Anspruch auf Nachmittagsbetreuung haben die Eltern in den meisten Bundesländern (noch) nicht. Das ist für viele Familien ein großes Problem: Wohin mit dem Schulkind, wenn Mutter und Vater berufstätig sind?
„In den Kindertagesstätten sind die Kleinsten und die Kleinen ja bis in den Nachmittag hinein gut betreut“, erklärt Wido Geis-Thöne, Experte für Familienpolitik und Bildung im Institut der deutschen Wirtschaft. „Mit dem Schulanfang laufen viele Eltern in eine Betreuungsfalle – und müssen dann oft ihre Berufstätigkeit reduzieren.“
In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Grundschüler in einer Hortbetreuung oder in ganztagschulischen Angeboten zwar kontinuierlich gestiegen: Etwa die Hälfte der 2,8 Millionen Grundschulkinder wird inzwischen ganztäglich betreut. Das Bundesfamilienministerium schätzt aber, dass der tatsächliche Bedarf der Eltern deutlich höher ist und bei 75 bis 80 Prozent liegt.
Ein Missstand also – der aber bis Ende des Jahrzehnts behoben werden soll. Im Schatten der Corona-Pandemie und mitten im Bundestagswahlkampf hat der Gesetzgeber den Anspruch auf Nachmittagsbetreuung für Grundschüler rechtlich verankert. „Das ist ein ganz wichtiges Signal an alle Familien“, sagt der IW-Experte, „aber auch an die Betriebe, die vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels dringend auf junge Mütter angewiesen sind.“
Der neue Rechtsanspruch wird ab 2026 schrittweise umgesetzt
Was bedeutet diese Reform konkret für Eltern und Kinder? Zunächst haben ab August 2026 alle dann neu eingeschulten Grundschüler einen Rechtsanspruch auf eine Nachmittagsbetreuung. Bis 2029 soll für jedes Schulkind der Jahrgangsstufen eins bis vier ein Betreuungsplatz bereitstehen. Ganztägliche Betreuung heißt: an fünf Tagen in der Woche, für mindestens acht Stunden. Und das gilt auch in den Ferien! Höchstens vier Wochen pro Jahr müssen die Eltern ohne jede schulische Betreuung klarkommen.
Aktuell ist der „Ganztag“ übrigens noch viel großzügiger definiert: Es reicht nämlich schon, wenn Schulen an drei Werktagen eine Betreuung von je sieben Stunden anbieten. Das sei natürlich viel zu wenig, erklärt Geis-Thöne: „Wenn Mütter Vollzeit arbeiten möchten, ist das schlicht nicht ausreichend. Der neue Rechtsanspruch bringt jungen Familien deutlich mehr Entlastung – und vor allem auch Planungssicherheit.“
Klar ist aber auch, dass bis dahin noch viel zu tun ist. In einzelnen Bundesländern sieht es schon ganz gut aus, so fehlt in den ostdeutschen Flächenländern sowie in Hamburg schon jetzt nur noch ein kleiner Teil der zusätzlich nötigen Plätze. In Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg dagegen ist die Lücke deutlich größer. Insgesamt müssen bis zum Schuljahr 2029/30 bundesweit rund 600.000 zusätzliche Ganztagsplätze geschaffen werden. Und da geht es nicht nur um die Räumlichkeiten: Laut einer Studie der TU Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts fehlen für die geplante Betreuungsarbeit rund 57.000 Voll- und Teilzeitfachkräfte.
Bis zuletzt wurde vor allem die Frage „Wer soll das bezahlen?“ zwischen Bund und Ländern diskutiert. Der Kompromiss sieht nun vor, dass der Bund bis zu 3,5 Milliarden Euro in den Ausbau der Ganztagsbetreuung in Grundschulen investiert und sich auch an den laufenden Kosten „dauerhaft“ beteiligt.
Ob Eltern den neuen Anspruch auf Betreuung wahrnehmen, hängt von der Qualität des Angebots ab
Was Experte Geis-Thöne besonders betont: Das angebotene Betreuungsprogramm muss attraktiv sein, nicht nur für die Kinder. „Die Qualität muss stimmen. Wenn Väter und Mütter ihr Kind nach der regulären Unterrichtszeit nicht gut betreut sehen, dann werden sie ihren neuen Anspruch auf einen Platz eher nicht wahrnehmen.“
Viele Mütter wollen mehr arbeiten. Und ihr Kind in dieser Zeit qualitativ gut betreut und versorgt wissen
Für den Erfolg der Reform sei entscheidend, wie die Schulen die Betreuungszeit konkret gestalten: etwa mit Lerngruppen und Hausaufgabenhilfe oder auch Sport- und Musikangeboten.
Übrigens profitieren gerade Kinder aus sozial schwächeren oder bildungsfernen Familien ganz besonders von solchen Angeboten. Und aus der Migrationsforschung weiß man: Für eine Eingliederung von geflüchteten Frauen am Arbeitsmarkt sind staatliche Betreuungsangebote für die Kinder ganz entscheidend.
Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald.
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