Osterode. Eigentlich hatte Sven Vogt noch viel zu tun an seinem letzten Arbeitstag vor dem Urlaub. Doch für ein Gespräch mit aktiv nahm er sich Zeit. Der Grund ist die Energiekrise. „Offene und ehrliche Kommunikation ist in den kommenden Monaten besonders wichtig“, sagt der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands der Deutschen Kautschukindustrie. Vielen Menschen sei der Ernst der Lage nicht bewusst. „Die Gasuhr dreht sich langsam wie immer“, so Vogt. „Doch das dicke Ende kommt erst noch.“
„Dicke Schecks wie zur Coronazeit reichen diesmal nicht“
Vogt ist Gesellschafter der KKT Gruppe in Osterode. Sie stellt Gummi-, Silikon- und Kunststoffteile zum großen Teil für die Auto-Industrie her. Auch Atemschutzmasken für Feuerwehrleute gehören dazu. Als Unternehmer erlebt er wie alle anderen Kollegen des Verbands schon seit Monaten riesige Herausforderungen. Selten hat man ihn so besorgt über den Zustand der Wirtschaft gesehen. „Krise ist die neue Normalität“, sagt Vogt. Doch was sich in den kommenden beiden Winterhalbjahren zusammenbraut, habe es besonders in sich: „Wirtschaft und Gesellschaft stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Dicke Schecks wie zur Coronazeit reichen diesmal nicht.“
Ob Gas sparen, Atomkraftwerke laufen lassen, Steuerhilfen: Der Unternehmer rät in der Energiekrise dazu, alle Register zu ziehen. „Kohlekraftwerke werden jetzt wieder angefeuert. Warum nicht schon vor Monaten?“, fragt er sich. Ihn treibt die Frage um, wie Unternehmen und Privathaushalte autarker werden können. Regionale Energiecluster dürften aus seiner Sicht kein Tabu sein. Kommunale Genossenschaften, die sich gemeinsam um die Energieerzeugung kümmern, seien denkbar. Photovoltaik oder Windräder von privaten oder kommunalen Betreibern seien äußerst sinnvoll. „Hierfür müssen die Kommunen von Land und Bund stärker unterstützt werden. Die langen Genehmigungsverfahren sind ein großes Problem.“ Allgemein sei das Tempo einfach zu gering: „Mich erinnert das an die Erfahrungen der beiden Corona-Sommer, wo wir es verpasst haben, uns auf den Herbst und Winter vorzubereiten.“
Der ADK-Vorsitzende schlägt vor, kurzerhand großflächige Ausnahmen von rechtlichen Vorgaben zu verordnen. „Bei der Beschaffung von Flüssiggas haben wir gesehen: Es geht doch.“ Er will die Politik auch nicht aus der Verantwortung lassen, um eine spürbare Eindämmung der Inflation zu erzeugen. „Hier könnte die Bundesregierung durch die zumindest vorübergehende Senkung der europaweit höchsten Energiesteuersätze auf alle Energieträger einiges tun.“ Krise habe immer auch etwas mit Chance zu tun, sagt Vogt. Die schlimme aktuelle Lage helfe vielleicht, die Gesellschaft wachzurütteln. Neben der Energiekrise stehe auch die Klimakrise im Brennpunkt und werde für ein Umdenken sorgen. „Fest steht, wir müssen uns etwas einfallen lassen“, so Vogt.
„Unseren Gesprächen mit der Gewerkschaft vertraue ich sehr“
Hoffnung macht ihm die Sozialpartnerschaft in Deutschland – vor allem das gute Verhältnis zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft in der Kautschukbranche: „Unseren Gesprächen mit der Gewerkschaft vertraue ich sehr.“ Vogt hält es für extrem wichtig, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaft rechtzeitig und in aller Offenheit über die aktuelle Situation sprechen. Für ihn ist diese Sozialpartnerschaft „der Kitt der Gesellschaft“.
„Wir müssen schauen, wo wir stärker ausfugen können, denn wir als Sozialpartner haben eine hohe Verantwortung, damit der Betriebsfrieden gesichert wird.“ Zuversichtlich ist er, weil die kleine Kautschukbranche zuletzt immer schnell und pragmatisch Lösungen für Mitarbeiter und Betriebe gefunden habe. „Es braucht diese Beispiele aus kleinen Branchen, um eine Signalwirkung zu erzeugen.“
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
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