Neunkirchen. Ein schwerer Sturz mit dem Fahrrad veränderte Heiko Meyers Leben schlagartig. Genickbruch diagnostizierten die Ärzte, nachdem sie ihn ins Krankenhaus gebracht hatten. 2014 war das. „Die Wirbelsäule geht wieder“, sagt der 41-Jährige. „Aber die rechte Hand tut ab und zu nicht mehr, was sie soll.“ Und schwindelfrei ist er auch nicht mehr.
Von seinem Beruf als Schornsteinfeger, den er 19 Jahre lang ausgeübt hatte, musste er deshalb Abschied nehmen. Jetzt lernt er etwas Neues. In einer verkürzten zweijährigen Ausbildung beim Presswerk Struthütten (PWS) in Neunkirchen wird er bald Werkstoffprüfer.
Der Ausbildungsbetrieb PWS produziert Baugruppen für Abgassysteme
Rußige Kamine reinigt Meyer zwar nicht mehr, aber mit Schadstoffen und sauberer Luft hat sein künftiger Job auch zu tun. Die rund 180 Mitarbeiter von PWS fertigen Baugruppen für die Abgassysteme von Autos und Nutzfahrzeugen. Etwa die sogenannten AdBlue-Dosiereinheiten, die die Stickoxide aus den Abgasen der neueren Dieselmotoren waschen sollen. Sie sind dermaßen gefragt, dass das Familienunternehmen die Produktion in den letzten Jahren mehrmals modernisiert und erweitert hat.
Der angehende Werkstoffprüfer wird nach seinem Abschluss im Sommer einen nagelneuen Arbeitsplatz bekommen. So neu, dass auf der Rückseite seines Bildschirms noch die Verpackungsfolie klebt. In dem Labor, das die Firma frisch eingerichtet hat, prüft er heute bei einem Bauteil die Qualität der Schweißnähte und die Festigkeit des Materials. Er sägt die Stichprobe durch, schleift die Kante glatt, ätzt das Teil an, um die Konturen sichtbar zu machen, und legt es unters Mikroskop. Es geht um Abweichungen von Mikrometern, so dünn wie ein Haar.
Meyer startete beim Autozulieferer in Neunkirchen zunächst als Produktionshelfer
Zum Autozulieferer kam Meyer nach seiner Genesung zuerst als Produktionshelfer. „Aber weil er technisch so begabt ist, haben wir ihm eine Umschulung nahegelegt“, sagt PWS-Ausbildungsleiter Markus Petri. Bezahlt wird sie von der Rentenversicherung.
Meyer mag das Handwerkliche. Als Teenager half er bei einem Fahrradhändler aus, der ihm das Schrauben beibrachte. Später hat er sich zu Hause in der Garage eine Werkstatt eingerichtet und repariert fast alles selbst – ob Auto, Motorrad oder Rad. Wegen seiner Vorliebe fürs Handwerk wollte er eigentlich eine Umschulung zum Werkzeugmechaniker machen. In diesem Beruf bildet PWS ebenso aus. Doch der Mann von der Rentenversicherung befürchtete, dass sich die Ausfallerscheinungen der rechten Hand verschlimmern könnten. Als Werkstoffprüfer arbeitet Meyer mehr am Computer als an der Maschine.
"Ich hätte nicht gedacht, dass die Metallherstellung so komplex ist"
Einen Teil der Ausbildung absolviert Meyer bei den Deutschen Edelstahlwerken in Siegen. Während er bei PWS lernt, wie Stahl verarbeitet und was daraus gemacht wird, erfährt er beim Stahlhersteller alles über das Metall, seine Strukturen und die unterschiedlichen Prüfverfahren. „Ich hätte nicht gedacht, dass die Metallherstellung so komplex ist“, sagt er. „Der Job ist sehr vielfältig und spannend, und ich bin froh, diese Chance bei PWS bekommen zu haben.“
In diesen Wochen wird er bis zum Ende seiner Lehre ins Stahlwerk wechseln. Dort wird er auf die Zwischen- und die Abschlussprüfung vorbereitet, die schnell aufeinanderfolgen.
Nach Feierabend wird für die Prüfung gebüffelt
„Es ist unheimlich viel Fachwissen, das ich mir in kurzer Zeit aneignen muss“, so Meyer. „Schließlich lerne ich in zwei Jahren das, wofür man normalerweise dreieinhalb braucht.“ Und da sich Meyers Frau auch gerade weiterbildet, sitzen sie nach Feierabend an den Hausaufgaben: den beiden Kindern zum Vorbild.
Fürs geliebte Schrauben bleibt jetzt keine Zeit. „Wenn ich fertig bin, geht es auf jeden Fall damit weiter“, freut sich der Senior-Azubi. Seine zwölfjährige Tochter konnte er auch schon dafür begeistern. Rad fährt er übrigens weiterhin. „Dumm laufen kann es überall im Leben“, sagt Meyer. „Aber am Ende habe ich doch noch Glück gehabt.“
Persönlich
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Ich schraube gern und wollte Werkzeugmacher werden. Aber wegen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen musste ich auf Werkstoffprüfer umschulen.
Was reizt Sie am meisten?
Die Herstellung von Stahl und die Legierungen kennenzulernen. Und all das, was mit Stahl machbar ist und was der aushält.
Worauf kommt es an?
Fachwissen und Verantwortung.Ohne die sorgfältige Arbeit der Werkstoffprüfer könnte etwa ein Flugzeug abstürzen.
Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.
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