Was passiert, wenn sich Prozesse in einem Unternehmen verändern? Wenn alle plötzlich ein bisschen anders arbeiten sollen als in den Jahren oder Jahrzehnten zuvor? „Ich muss zugeben, ich habe zu Anfang gegrübelt“, sagt Andre Stelzer. „Mir war nicht sofort klar, ob die Vorteile tatsächlich überwiegen.“
Die Änderung, die der 41-jährige Feinmechaniker zunächst skeptisch sah, war eine radikale Digitalisierungsmaßnahme. Sein Unternehmen, die UHE Feinmechanik in Hemmingen bei Hannover, produziert mit seinen 35 Mitarbeitern Dreh-, Fräs- und Blechteile. Bislang kamen die Zeichnungen, Arbeitsbeschreibungen und Werkzeugpläne dafür immer auf Papier. Jetzt ist die Fertigung fast papierlos: Jeder Beschäftigte hat ein eigenes Tablet, auf dem er alle Informationen jederzeit abrufen kann. „Ein Knopfdruck und alles ist da!“, sagt Stelzer, der heute „schon ein bisschen stolz darauf ist“, was mit der Umstellung erreicht wurde. So sieht das auch das Land Niedersachsen, das den Mittelständler gerade mit dem Zertifikat „Digitaler Ort Niedersachsen“ ausgezeichnet hat.
Prozesse und Daten transparent sichtbar machen – dieser Plan treibt gerade viele Unternehmen im Land um. Immer größer wird die Sorge, sonst den Anschluss an stärker digitalisierte Wettbewerber zu verlieren. Die papierlose Fertigung ist ein großer Schritt in diese Richtung.
Die Vorteile für das Unternehmen liegen auf der Hand: Heute könne UHE viel schneller reagieren, Aufträge neu terminieren oder Stückzahlen innerhalb des Prozesses ändern, erklärt Geschäftsführer Hermann Strathmann. „Das war früher gar nicht möglich. Da musste man erst das Papier wieder einsammeln, zerreißen, neu ausdrucken und wieder in die Fertigung geben.“ Der alte Prozess habe zudem „unglaublich viel Zeit gekostet“, weil solche Änderungen oft mehrmals pro Woche kamen.
Umstellung auf papierlose Produktion: Zeichnungen von 1960 mussten digitalisiert werden
Die Digitalisierung hat auch die Übersichtlichkeit verbessert. „Wir haben Zeichnungen, die sind von 1960“, sagt Strathmann. „Das ist schon echtes Ölpapier. Die sind nicht mehr weiß, die sind gelb getränkt von unserem Öl.“ Bei einigen sei der Rand zerfleddert und man könne kaum etwas auf ihnen erkennen. Heute braucht die alte Zettelwirtschaft niemand mehr: Alle wichtigen Informationen kommen nun vom Tablet. „Ohne Einschränkungen und perfekt sichtbar“, sagt Strathmann. „Man kann zoomen und Bemerkungen machen. Mich begeistert der neue Prozess total.“
„Das Wichtigste bei einer Veränderung sind Mitarbeiter, die mitziehen.“
Hermann Strathmann, Geschäftsführer von UHE
So schön es am Ziel ist – der Weg dorthin war alles andere als ein Kinderspiel, sagt der UHE-Chef. Als oft jahrzehntelanger Partner seiner Kunden galt es nämlich, zum Teil sehr alte Zeichnungen zu digitalisieren. „Wir haben drei IT-Dienstleister gefragt, doch keiner wusste so wirklich, wie man alle Daten zusammenträgt“, erinnert sich Strathmann. Man habe zwischenzeitlich sogar ans Aufgeben gedacht. Doch dann brachte der Kontakt zu einem kleinen Ingenieurbüro den Durchbruch. „Ein guter Partner ist wichtig“, sagt Strathmann. Noch wichtiger ist allerdings etwas anderes: die Bereitschaft der Mitarbeiter, mitzuziehen.
Folge der Digitalisierung: Die Kommunikation mit Fremdfirmen und Kunden läuft besser
Dabei ist die anfängliche Skepsis langjähriger Mitarbeiter wie Andre Stelzer verständlich. Der Feinmechaniker hat schon seine Ausbildung in dem Familienbetrieb gemacht. Heute ist er 25 Jahre im Unternehmen. Vieles, sagt er, sei über die Zeit zur Routine geworden. „Deshalb war ich unsicher, ob die Umstellung Sinn macht.“
Inzwischen ist die Skepsis längst der Begeisterung gewichen. Stelzer zeigt auf seine Werkbank: „Schauen Sie hier, es liegt nichts rum. Auch die Kommunikation mit Fremdfirmen und Kunden läuft besser.“
Wenige Meter entfernt ist der Arbeitsplatz von Oliver Deack. Der Zerspanungsmechaniker ist seit zwölf Jahren bei UHE – und einer der wenigen, der noch ausgedruckte Anweisungen bekommt. „Ich programmiere unsere Biegewerkzeuge und Fräsmaschinen“, erklärt Deack und deutet auf einen Stapel Papier. „Der ist im Vergleich zu früher deutlich kleiner.“ Was sich über die Jahre auf Zetteln angesammelt hat, wird nach und nach digitalisiert. Irgendwann ist so der gesamte Prozess digital.
Die Transformation wurde zuerst an drei Mitarbeitern getestet
„Gewohnheit ist ein starker Klebstoff“, kommentiert Geschäftsführer Strathmann. „Deshalb haben wir zuerst Tests mit drei Mitarbeitern gemacht, wie schnell und gern sie mit einem Tablet arbeiten wollen.“ Am Ende habe ihn überrascht, wie stark die Bereitschaft war.
Auch bei Ralf Rosebrock, mit 62 Jahren einer der ältesten Kollegen bei UHE. „Ich hatte schon sehr früh einen Commodore-Computer und finde es total wichtig, dass wir uns digital ausrichten“, sagt er.
Am anderen Ende der Alterspyramide kommt der Prozess ohnehin gut an. Zum Beispiel bei Kyra-Marie Kuhlmann: Die 20-Jährige ist frischgebackene Feinmechanikerin und kam über ein Ferienpraktikum zu UHE. Sie habe unbedingt in dem Familienbetrieb eine Ausbildung machen wollen, „weil das Team total cool und locker war“, sagt sie. „Und jetzt sind wir hier auch noch digital weit vorn.“
Das läuft bei UHE Feinmechanik jetzt digital
- Sämtliche Zeichnungen, Hinweise zu Arbeitsgängen und Prüfprotokolle sind digital abrufbar.
- Alle Dreh- und Fräsmaschinen-Daten werden automatisch protokolliert.
- Über ein Dokumenten-Management-System werden alle Lieferscheine und Angebote, Rechnungen und Auftragsbestätigungen digital abgelegt.
- Es gibt eine tagesaktuelle Übersicht der Auslastung aller Fertigungsinseln.
- Stromverbraucher werden digital erfasst, um Kosten reduzieren zu können.
- Licht wird über Präsenzmelder gesteuert.
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
Alle Beiträge des Autors