Berlin. Corona und kein Ende: Die fünfte Welle der Pandemie jagt übers Land, rasant wie keine Variante zuvor breitet sich Omikron aus. Noch immer sind nicht genug Menschen geimpft. Täglich stecken sich Zigtausende an.
Doch anders als vor einem Jahr hilft jetzt nicht nur die Impfung: Die Ärzte haben gegen Corona ein Dutzend teils völlig neuer Arzneien in der Hand. Mit enormem Tempo haben Hersteller Medikamente entwickelt – in zwei statt sonst in zwölf Jahren! „Das ist eine absolute Pionierleistung einiger Unternehmen“, urteilt Rolf Hömke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller.
Deutschland hat bei Pfizer schon eine Million Packungen bestellt
Möglich machten das priorisiertes Arbeiten in Unternehmen und auch Behörden, bei einigen Präparaten die relativ neue Antikörper-Technologie – und manchmal glückliche Umstände.
Was kam bisher dabei heraus? aktiv erklärt das ABC der Corona-Arzneien.
Paxlovid. Das Medikament des US-Pharmakonzerns Pfizer ist das erste, das Corona-Kranke zu Hause einnehmen können. „Durchbruch“, „Meilenstein“, „Quantensprung“, jubeln Mediziner. Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat das Präparat gerade zugelassen, aber nur für Erwachsene mit erhöhtem Risiko von schwerem Covid-19. Wenn Kranke die Tabletten sehr früh einnehmen, sinkt das Risiko eines schweren Verlaufs mit Klinikaufenthalt um fast 90 Prozent. Der Wirkstoff blockiert einen wichtigen Schritt der Virus-Vermehrung und bremst im Laborversuch auch Omikron.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist von der rezeptpflichtigen Arznei begeistert: „Ich erwarte, dass wir damit zahlreiche schwere Verläufe auf den Intensivstationen verhindern können.“ Der Minister hat eine Million Packungen bestellt, die Pfizer im Laufe des Jahres liefern wird. Produziert wird Paxlovid vorwiegend in Freiburg.
Ein Wermutstropfen: „Das Präparat kann zu unerwünschten Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten führen“, weiß Experte Hömke. Ärzte müssen das vor der Verschreibung prüfen.
Lagevrio. Ebenfalls zu Hause einnehmen können Patienten das Arzneimittel des US-Herstellers MSD. Damit müssen sie in den ersten fünf Tagen der Infektion beginnen. Dann verringern die Kapseln das Risiko einer Einweisung ins Krankenhaus um immerhin ein Drittel. Der Wirkstoff führt dazu, dass bei der Vermehrung der Viren defektes Erbgut entsteht; er wirkt auch gegen Omikron. Noch steht die Zulassung in Europa aus, hierzulande dürfen Ärzte es aber bereits verordnen. Deutschland hat zunächst 80.000 Packungen bestellt.
Antikörper-Arzneien. Diese Medikamente werden meist per Infusion gegeben, was im Krankenhaus oder auch im Altenheim geschieht. Sie verhindern ziemlich bis sehr gut einen schweren Corona-Verlauf. Die Präparate enthalten Stoffe der menschlichen Immunabwehr, sogenannte Antikörper. Forscher gewinnen sie aus dem Blut von Genesenen, suchen die besten Antikörper für die Therapie heraus, optimieren sie und vermehren sie biotechnisch in großen Mengen. Die Entwicklung solcher Arzneien geht recht schnell, die ersten Präparate wurden bereits 2021 zugelassen: Ronapreve der Hersteller Roche und Regeneron, das Medikament Regkirona der Firma Celltrion sowie das Präparat Xevudy der Unternehmen GlaxoSmithKline und Vir Biotechnology.
Als Vorbeugung getestet wird derzeit eine Antikörper-Arznei des Konzerns Astrazeneca. Sie könnte Menschen gespritzt werden, die eine Immunschwäche haben oder nicht geimpft werden können. Das Präparat befindet sich noch im Zulassungsverfahren.
Immundämpfende Mittel. Sie helfen Patienten mit schwerem Corona-Verlauf in der Klinik. Denn eine überschießende Immunreaktion schädigt oft Lunge, Niere und andere Gewebe. Ärzte bremsen die Überreaktion mit dem Cortison-Präparat Dexamethason, etwa vom Darmstädter Hersteller Merck. Der altbewährte Wirkstoff und zwei andere immundämpfende Medikamente wurden nun auch für Covid zugelassen, etwa Roactemra, das der Konzern Roche in Mannheim abfüllt und verpackt. Ein weiteres Präparat steckt im Zulassungsverfahren, ein anderer Wirkstoff der Jenaer Firma Inflarx im abschließenden Kliniktest.
Und das alles ist erst der Anfang! Aktuell entwickeln allein die Pharmaunternehmen mit Sitz oder Standort in Deutschland 38 neue Arzneien für Corona. Weltweit sind sogar 635 Projekte in Arbeit. Das gefährliche Virus hat einen riesigen Forschungsschub ausgelöst.
Impfen bleibt die erste Wahl
- Die neuen Medikamente sind kein Ersatz für Corona-Impfstoffe. Sie sind viel teurer als die Impfung. Und sie sind bisher ohnehin nur für Menschen mit dem Risiko eines schweren Verlaufs zugelassen.
- Vorbeugen ist immer besser als Behandeln. Kranken drohen auch bei relativ mildem Verlauf langfristige Folgen wie zum Beispiel Geruchsverlust oder chronische Müdigkeit – Stichwort „Long Covid“.
- In den Griff bekommen lassen sich das Virus und seine Mutationen auf die Dauer nur durch die vollständige Impfung möglichst vieler Menschen.
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
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