Münster. Es gibt so Tage, an die erinnert man sich noch Jahre später ohne Probleme. Für viele Beschäftigte aus Textilbetrieben zählen dazu sicher jene Märztage 2020, an denen sie begannen, Stoffmasken zu nähen …

Auch für Stefan Dissel war diese Zeit speziell. Der Chef des Deutschen Instituts für Nachhaltigkeit & Ökonomie in Münster saß zwar nicht an der Nähmaschine, trotzdem hat Corona seine Arbeit verändert – auf spannende Weise.

Alles begann mit einem Anruf aus dem Gesundheitsministerium in Berlin Ende März: „Man wollte wissen, ob wir ein Prüfsiegel für wiederwendbare Alltagsmasken erstellen können“, erinnert sich Dissel. Normalerweise beraten er und seine Mitarbeiter Unternehmen aus über 400 Branchen und helfen dabei, nachhaltige Geschäftsprozesse zu entwickeln. Diese werden durch ein international anerkanntes Prüfsiegel zertifiziert.

Die Textilunternehmen benötigten schnell ein vertrauenswürdiges Prüfsiegel

Die Zeit dränge, hieß es aus dem Ministerium: Es hätten sich Textilunternehmen gemeldet, die schnell ein solches Siegel benötigen. Dissel nahm die Herausforderung an. Als Zertifizierungsexperte kennt er sich schließlich mit Standards und Tests aus.

„Schon am nächsten Tag klingelten bei uns die Telefone! Textilunternehmen fragten nach, was sie denn alles für eine Prüfung einreichen müssen.“ Dazu gehörten zum Beispiel der Textilveredler van Clewe aus Dingden oder die Bekleidungswerke Rofa, ein Anbieter von Arbeitsschutzkleidung aus Schüttorf.

Schon wenige Tage später dehnte, zerriss und zerschnitt Dissels Team erste Proben der textilen Schutzmasken für den Alltagsgebrauch. „Wir hatten die unterschiedlichsten Masken im Labor: aus Baumwolle oder Vliesstoff, zwei- oder dreilagig, mit innen liegendem Hygienevlies, aus feuchtigkeitsabweisendem oder feuchtigkeitsanziehendem Material“, erzählt der Institutsleiter.

Zertifikate und Prüfsiegel werden in 14 Sprachen übersetzt

Etwa zwölf Millionen Alltagsmasken wurden hierzulande schon bis Ende Mai produziert. Ein großer Teil davon lief durch die Prüfung des Instituts: Eine Prozedur, in der die Produkte binnen drei Tagen auf eine bestimmte Partikeldichtigkeit geprüft, der Sitzkomfort getestet und die Waschbarkeit unter die Lupe genommen wurden. Kriterien, die coronabedingt in einem vereinfachten Zulassungsverfahren festgelegt wurden.

„Mit diesem Zertifikat konnten die Unternehmen ihre Masken dann öffentlichen Einrichtungen oder Großabnehmern anbieten“, erklärt Dissel. Eine Regelung, die bis heute gilt.

Genauso akribisch wie bei den Masken gehen die rund 40 teils freien Mitarbeiter des Instituts vor, wenn es um Nachhaltigkeit geht. Die Nachhaltigkeits- und Umweltzertifikate des Instituts werden laut Dissel mittlerweile schon in 14 Sprachen übersetzt. Bevor sie vergeben werden, prüfen die Experten zum Beispiel Textilunternehmen mit einem Katalog aus 75 Fragen. Eine solche Zertifzierung wird vom Institut sogar finanziell gefördert.

Die Kriterien sind dabei umfangreicher als bei einer Maskenprüfung. „Wir schauen uns etwa an, ob und wie ein Unternehmen Prozessoptimierungen zur Einsparung von Ressourcen vornimmt, oder ob es versucht, Beschaffungswege zu verkürzen, um seine CO2-Bilanz zu verbessern“, sagt Dissel. Was für den studierten Betriebswirtschaftler dabei wichtig ist: „Nachhaltigkeit muss man sich leisten können! Nur wenn ein Unternehmen wirtschaftlich gut dasteht, kann es sich Ökostrom, effizientere Maschinen oder teurere Beschaffungswege für nachhaltig gewonnene Rohstoffe leisten.“

Und so etwas wird immer wichtiger. Dissels Erfahrung: In vielen Branchen sei ein zertifizierter Nachhaltigkeitsnachweis mittlerweile Standard, um als Lieferant akzeptiert zu werden. Das scheint auch bei den Unternehmen angekommen zu sein, die ihre Masken im Institut haben prüfen lassen: „Einige haben uns danach engagiert – um unser Nachhaltigkeitszertifikat zu erhalten.“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich bin Mediziner und habe nach diesem Abschluss noch ein betriebswirtschaftliches Studium drangehängt. Beim Institut bin ich seit 1999.

Was reizt Sie am meisten?

Ich möchte bei meiner Arbeit effizient sein. Für mich heißt das: unsere Kunden bestmöglich bei der Entwicklung nachhaltiger Prozesse unterstützen und beraten.

Worauf kommt es an?

Sich in viele Details einarbeiten und die Regeln und Standards verständlich für unsere Kunden erklären.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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