Emsdetten. Den Mann im schwarzen Polo-Hemd bringt so schnell nichts aus der Ruhe. Routiniert betätigt Stefan Ruholl den Desinfektionsspender – mit dem Unterarm. Dann verreibt er geduldig die virenabtötende Flüssigkeit auf Handrücken, Handinnen- und Außenseite und zwischen den Fingern.
„Das ist uns mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen“, sagt Ruholl, dessen Stimme hinter der Maske leicht hohl klingt. Der 35-Jährige leitet bei Schmitz Textiles in Emsdetten, einem Produzenten von technischen Textilien für den In- und Outdoor-Bereich, die Versorgungs- und Betriebstechnik.
Man kann durchaus sagen: Ruholls Job und der seiner 28 Kollegen ist für den Betrieb lebenswichtig: „Wir stehen dafür ein, dass die Produktion läuft. Unsere Arbeit hier ist systemrelevant.“
Mit der Pandemie bekommt die Tätigkeit von Ruholls Team eine neue Dimension. Nicht mehr allein das Gebäudemanagement, die Versorgung des Betriebs mit Strom, Wasser und anderen Hilfs- und Betriebsstoffen oder die Wartung der Anlagen ist jetzt seine Aufgabe. Sie sind zu Virusjägern geworden.
Es gilt die Regel: Besser ein Lächeln als Hände schütteln
„Wir haben schon im Februar unsere Lagerbestände für Vorprodukte aufgestockt und frühzeitig Desinfektionsmittel geordert“, erinnert er sich. Und mit dem Lockdown ab Mitte März veränderte sich dann auch der Arbeitsalltag der rund 250 Mitarbeiter bei Schmitz Textiles.
Seitdem wird genau darauf geschaut, wer das Betriebsgelände überhaupt betreten muss. Lieferanten müssen Hygiene-Regeln einhalten. Für den Umgang miteinander und am Arbeitsplatz gilt: Besser ein Lächeln als ein Händeschütteln, Abstand halten und regelmäßig Hände desinfizieren. Dafür haben Ruholl und seine Kollegen überall Hygiene-Spender aufstellen lassen.
Unnötige Wege, etwa durch die Produktion, fallen jetzt weg, Besprechungen finden digital statt, und in Großraumbüros ist viel Platz, um die gebotenen Abstandsregeln einzuhalten.
Der Schichtbetrieb in der Produktion wurde getrennt, der Schichtbeginn entzerrt, sodass nicht zu viele Kollegen auf einmal aufeinandertreffen. Und Pausenräume sind fest zugewiesen, um eine Durchmischung der Kollegen und die damit verbundene Ansteckungsgefahr gering zu halten.
Die Hygiene-Regeln werden nach wie vor strikt gehandhabt
Trotzdem ist Ruholl weiterhin unterwegs, um potenzielle Ansteckungsgefahren am Standort aufzudecken und zu minimieren: „Wir fahren noch immer auf Sicht und steuern ständig nach.“ Dafür formuliert Ruholl mit seinem Team Betriebsanweisungen, mit denen man den Arbeitsalltag meistern kann. Ergebnis: „Bisher haben wir keine Ansteckungen mit dem Virus im Betrieb gehabt.“
Natürlich hätten die Maßnahmen die Arbeit stark verändert, gibt Ruholl zu. Es fehle öfter mal der persönliche Kontakt zum Kollegen, den ein Telefonat oder ein Online-Kontakt per Video-Chat nur schlecht ersetzen kann. Trotzdem hat Ruholl bisher eher positive Rückmeldungen bekommen.
Die meisten sehen die getroffenen Regelungen als wertvollen Eigenschutz
Zumal in einigen Familien Angehörige zur Risokogruppe gehören“, weiß Ruholl. Deshalb nimmt er zurzeit auch keinen Abnutzungsseffekt wahr, durch den die Regeln lascher gehandhabt werden. Das liegt auch daran, dass viele der Regeln zusammen erarbeitet und ständig auf ihre Praktikabilität überprüft werden. Bis Ende September bleiben die Schutzmaßnahmen bestehen – Restrisiko inklusive. In Ruholls Gefahrenabschätzung hört sich das so an: „Wir haben das Risiko auf ein Minimum reduziert.“
Textilbranche: Stark vertreten in Nordrhein-Westfalen
- 18.620 Beschäftigte arbeiten in NRW in der Textil-Industrie
- 199 Textilbetriebe produzieren in dem Bundesland
- 3,4 Milliarden Euro Umsatz machen die Betriebe im Jahr
Stand 2019; Quelle: Zitex
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
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