Marktredwitz. Nachwuchsgewinnung ist für Betriebe schon länger kein Selbstläufer mehr. Doch aktuell ist sie besonders schwer. Dazu sprach aktiv in Bayern mit der Personalleiterin Dagmar Zauner vom Automobilzulieferer Scherdel im oberfränkischen Marktredwitz.

Im Herbst startet das neue Ausbildungsjahr. Wie sieht es derzeit bei Ihnen im Unternehmen in Sachen Nachwuchs aus?

Für uns in Marktredwitz ist die Situation aktuell eine Katastrophe. Ende 2021 hatten wir nur zwei Dutzend Bewerbungen für unsere im Herbst neu zu besetzenden 40 Ausbildungsstellen im gewerblich-technischen Bereich. Aktuell ist immer noch die Hälfte unbesetzt. So schlimm war es noch nie! Es gibt quasi noch alles – vom Maschinen- und Anlagenführer und klassischen Industrie- oder Werkzeugmechaniker bis zum Mechatroniker oder Elektroniker. Ich glaube aber nicht mehr daran, dass wir alle Stellen besetzen können.

Klingt dramatisch. Wo ist das Problem?

Bislang haben wir zwei Bewerber für eine Stelle. Diese Quote ist viel zu niedrig. Es gibt natürlich grundsätzliche Entwicklungen, etwa den demografischen Wandel und die generelle Abkehr junger Leute von gewerblich-technischen Berufen. Aktuell kommen für uns aber vor allem zwei Probleme hinzu: Corona und die Transformation in der Automobil-Industrie. Das verschärft die Lage deutlich.

Das müssen Sie genauer erklären.

Viele potenzielle Bewerber fragen sich, ob es bei uns noch einen zukunftssicheren Arbeitsplatz gibt. Wir stecken als Automobilzulieferer ja mitten in der Transformation, und unser Geschäftsmodell hängt derzeit noch zu einem hohen Anteil am Verbrennungsmotor, wenn wir auch schon seit Jahren immer tiefer in die E-Mobilität einsteigen und hier große Erfolge erzielen. Auch die Medizintechnik wird für uns zu einem immer größeren Standbein. Das zu kommunizieren und den Bewerbern ihre Sorgen zu nehmen, ist eine große Aufgabe.

Wie wirkt sich Corona aus?

Die Pandemie hat für eine riesige Verunsicherung gesorgt. Stabilität, Planbarkeit, Verlässlichkeit: Viele grundlegende Gewissheiten sind bei den jungen Leuten plötzlich weg. Sie zögern bei Entscheidungen – und bleiben dann eventuell doch lieber ein wenig länger auf der Schule. Zudem kamen wir zuletzt viel schlechter an die Jugendlichen ran. Schulbesuche waren ja in der Regel nicht möglich. Klar: Online kann man viel versuchen und unternehmen. Das haben wir auch. Aber all das ersetzt nicht den persönlichen Kontakt.

Und was machen Sie nun?

Azubi-Recruiting ist derzeit die kreativste Arbeit in unserem Unternehmen. Wir nutzen alle Hebel, die wir haben. Mitarbeiter werben in ihrem privaten Umfeld, etwa am Wochenende auf dem Fußballplatz. Es gibt die Initiative „Azubis werben Azubis“ mit einem Prämiensystem. Und natürlich sind wir flexibler als früher.

Was heißt das?

Wir sind offener für individuelle Lösungen. So beginnen in diesem Herbst zwei Seiteneinsteiger bei uns eine Ausbildung, die zuletzt als Ungelernte ausgeholfen haben. Sie hatten durch Corona ihre früheren Jobs in anderen Branchen verloren. Und grundsätzlich sind wir eher bereit, Wackelkandidaten mit schulischen Defiziten eine Chance zu geben. Der Charakter und die Motivation eines Bewerbers sind für uns zentral. Wer dann bei uns etwas lernen will, den fördern wir, so gut es geht.

Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

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