Das Atomkraftwerk Oskarshamn an der schwedischen Ostseeküste gehört zu den leistungsstärksten und modernsten AKW der Welt. Aber selbst hier kommt es mitunter zu Störfällen. Beispielsweise im Herbst 2013, als ein Reaktor kurzfristig abgeschaltet werden musste, weil das Kühlwassersystem ausgefallen war. Der Grund: Tausende von Quallen hatten das Rohrsystem verstopft …
Kein Einzelfall, Quallen sind in vielen Küstenregionen mittlerweile zu einer echten Plage geworden. Das hat nicht nur mit dem Klimawandel und der Überdüngung der Ozeane zu tun, sondern auch mit den großen Schiffen, die ständig auf den Weltmeeren unterwegs sind.
Pflanzliche und tierische Lebewesen aus fernen Ländern
Sie schleppen in ihren Ballastwassertanks pflanzliche und tierische Lebewesen aus fernen Ländern ein, die sich in unseren europäischen Gewässern äußerst wohlfühlen. Denn hier haben die „Tank-Touristen“ meist keine natürlichen Feinde, die sie kurzhalten.
Ballastwasser hat eine wichtige Funktion. Es sorgt dafür, dass große Schiffe, die – beispielsweise auf dem Rückweg in den Heimathafen – ohne Ladung unterwegs sind, trotzdem tief genug und stabil im Wasser liegen.
Zehn Milliarden Tonnen Ballastwasser pro Jahr
Was aber die Schiffe stabilisiert, destabilisiert unsere Ökosysteme. Denn die Schiffe pumpen, bevor sie neue Ladung aufnehmen, das überflüssig gewordene Ballastwasser kurzerhand über Bord – und damit unzählige Algen, Mikroben, Fische, Krebse, Quallen und andere Organismen.
Welche Größenordnung dieser unkontrollierte „Reiseverkehr“ hat, zeigen Zahlen der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation IMO. In ihrer Studie „Ballast Water Hitchhikers“ ist die Rede von rund zehn Milliarden Tonnen Ballastwasser pro Jahr und über 3.000 Tier- und Pflanzenarten pro Tag, die in den Tanks kreuz und quer über die Weltmeere transportiert werden.
Das Problem ist seit Jahren bekannt
Den betroffenen Ländern und Reedereien ist das Problem ebenfalls seit Jahren bekannt, daher arbeiten zahlreiche Firmen und Einrichtungen an Gegenmaßnahmen. Diese Ballastwasser-Managementsysteme (BWMS) setzen auf unterschiedliche Methoden, einige auch auf den Einsatz von chemischen Substanzen.
Die Anlage von SKF Marine reinigt Schiffs-Ballastwasser ohne Einsatz giftiger Chemikalien
Das Verfahren, das nun von dem Hamburger Unternehmen SKF Marine entwickelt wurde, basiert auf einem anderen Prinzip. Es verzichtet auf giftige Chemikalien und arbeitet stattdessen mit ultraviolettem Licht und Ultraschall. Das System namens „BlueSonic BWMS“ hat nach umfangreichen Versuchen im Labor, an Land und an Bord alle Prüfungen erfolgreich bestanden und die Typzulassung erhalten.
Strenge Vorgaben der US-Küstenwache
Es hat einen so hohen Wirkungsgrad, dass es sogar die Standards der amerikanischen Küstenwache USCG (United States Coast Guard) erfüllt, die sehr streng sind. Wie streng, zeigt ein Vergleich mit den IMO-Regeln. Diese schreiben lediglich vor, dass die Organismen im Ballastwasser nicht mehr überlebens- und fortpflanzungsfähig sein dürfen. Das reicht der USCG nicht aus – sie verlangt, dass die fremden Organismen vollständig vernichtet werden.
Das System der Hamburger ist dazu in der Lage. Olaf Streich, Technischer Direktor für Ballastwasser-Managementsysteme bei SKF: „BlueSonic entspricht standardmäßig den IMO-Anforderungen und den Vorschriften der USCG. Mit einem einzigen Betriebsmodus für alle Gebiete ist das System außerdem sehr einfach zu bedienen.“
Umfangreiche Tests für die Zulassung
Den praktischen Nachweis dafür lieferte ein mehrmonatiger Test auf dem Containerschiff „Toronto Express“. Das 293 Meter lange Schiff der Reederei Hapag Lloyd bot sich für die Erprobung an, denn es verkehrt zwischen Hamburg und Montreal und fährt regelmäßig durch amerikanische Gewässer.
Die Installation und Inbetriebnahme der Ballastwasseranlage erfolgte durch SKF Marine innerhalb weniger Wochen – während des regulären Schiffsbetriebs und im Rahmen einer allgemeinen Überholungsdockung bei Blohm + Voss in Hamburg.
Jahrelange Entwicklungsarbeit
Die Bedingungen der Erprobung waren genau vorgegeben: Für eine Zertifizierung durch IMO und USCG mussten innerhalb von mindestens sechs Monaten fünf aufeinanderfolgende Tests durchgeführt werden, jeder Prüfzyklus nach den Vorgaben der zwei Organisationen.
Das SKF-System ist das Ergebnis jahrelanger Entwicklungsarbeit. „Unser Team hat bereits 2014 damit begonnen“, erzählt Umweltwissenschaftlerin Wiebke Matthias, die im BWMS-Produktmanagement von SKF tätig ist. „Zehn Jahre zuvor war das internationale Ballastwasser-Übereinkommen der IMO verabschiedet worden, das Anfang September 2017 in Kraft getreten ist.“
Rund 20.000 Schiffe müssen nachgerüstet werden
Und diese Vorschrift hat erhebliche Folgen. Sie schreibt vor, dass alle betroffenen Schiffe bis spätestens 2024 mit geeigneten Behandlungssystemen ausgestattet sein müssen. Konkret bedeutet das: In den kommenden Jahren muss massiv nachgerüstet werden.
Wiebke Matthias: „Nach unseren Berechnungen gibt es aktuell rund 20.000 Schiffe mit einer Ladekapazität von bis zu 20.000 Tonnen, die bislang ohne Ballastwasserreinigungssysteme auf den Meeren unterwegs sind.“
Notfalls kommt das System an die Decke
Eine Nachrüstung ist aber nur dann möglich, wenn das System so kompakt gebaut ist, dass es in den engen Maschinenräumen der Schiffe ohne Probleme installiert werden kann.
„Dieser Punkt spielte bei unserem Konzept von Anfang an eine große Rolle“, erklärt Ingenieur Jürgen Wetzel. „Unser System passt eigentlich in jedes Schiff, und falls erforderlich, kann man es auch einfach an der Decke aufhängen.“
Das Verfahren wurde bereits zum Patent angemeldet
Der gelernte Energieanlagenelektroniker absolvierte nach der Ausbildung ein Studium der Informations- und Elektrotechnik und ist seit sechs Jahren im Ballastwasser-Bereich von SKF Marine tätig. Er gehört mit Olaf Streich, Wiebke Matthias, Svenja Bierbaum, Jörg Grube und anderen Kollegen zu den Entwicklern des Systems, das bereits zum Patent angemeldet wurde.
Und wie funktioniert dieses Verfahren nun im Detail? „Kein Betriebsgeheimnis“, sagt Jürgen Wetzel und zeigt auf eine tonnenschwere Messingarmatur, die in einer Halle des Entwicklungsbereichs von SKF Marine steht.
Kombination aus UV-Licht und Ultraschall
„Das ist das Herzstück unseres Systems, der Reaktor“, erklärt er. „Durch ihn strömt das Ballastwasser, nachdem es einen Filter passiert hat. Im Inneren befinden sich starke UV-Lampen mit sehr kurz-welligem, sehr energiereichem Licht. Dieses zerstört die DNA der Organismen im Wasser und macht sie so dauerhaft unschädlich.“
Zusätzlich kommt in dem Reaktor Ultraschall zum Einsatz. Er entfaltet ebenfalls eine schädigende Wirkung auf die Lebewesen im Wasser und reinigt zugleich die UV-Lampen von Ablagerungen. Auch hier kann also auf Chemikalien verzichtet werden, was die Umweltfreundlichkeit des Verfahrens erhöht.
Mehrere Anlagen wurden schon verkauft
Daneben gibt es eine Reihe weiterer Vorteile, wie Jürgen Wetzel erklärt: „Einfacher Einbau und Betrieb, geringer Instandhaltungsaufwand und hohe Flexibilität bei der Installation durch das modulare Design und das geringe Volumen der Anlage.“ Außerdem ist BlueSonic für die meisten Schiffstypen geeignet und kommt mit allen Salzgehalten und Wassertemperaturen klar.
Das überzeugt auch die Kunden. Thomas Kaiser, Director Sales bei SKF Marine: „Die ersten sieben Systeme wurden bereits an einen deutschen Reeder verkauft, und wir gehen davon aus, dass weitere Abschlüsse bald folgen.“
SKF Marine gehörte früher zu Blohm + Voss
SKF Marine hat jahrzehntelange Erfahrung im maritimen Bereich. Der Schiffbauzulieferer war früher ein Geschäftsbereich der Traditionswerft Blohm + Voss und wurde Anfang 2013 von der schwedischen SKF-Gruppe übernommen. Der Betrieb beschäftigt rund 400 Mitarbeiter und hat seinen Sitz nach wie vor auf der Elbinsel Steinwerder im Hamburger Hafen unweit von Blohm + Voss.
Die unmittelbare Nähe zur Elbe war mit Sicherheit ein Vorteil bei der Entwicklung des Ballastwasser-Managementsystems, denn hier leben inzwischen einige der „invasiven Arten“, die als blinde Passagiere in Schiffstanks zu uns kamen. Der bekannteste Vertreter dürfte die Chinesische Wollhandkrabbe sein, die bereits im frühen 20. Jahrhundert von Handelsschiffen aus asiatischen Gewässern nach Europa eingeschleppt wurde.
Die Wollhandkrabbe mag den Norden
Das schmackhafte Schalentier, das in seiner alten Heimat als Delikatesse geschätzt wird, fühlt sich in Norddeutschland ausnehmend wohl. Alle Versuche, es wieder zu vertreiben, schlugen fehl.
Allein 1935 wurden in der Elbe 500 Tonnen davon gefangen, und 1936 sammelten Menschen in ganz Norddeutschland per Hand mehr als 20 Millionen Krabben ein, aber geholfen hat es nichts. Die Tiere vermehren sich munter weiter, weil sie in dieser Region kaum natürliche Fressfeinde haben.
Aus der Not eine Tugend gemacht
Deshalb haben einige Fischer nun aus der Not eine Tugend gemacht und die Jagd auf das kuriose Krustentier eröffnet. Sie fangen die Krabben mit Reusen und verkaufen sie an Asialäden, Restaurants und private Feinschmecker. Die freuen sich und zahlen 5 bis 8 Euro pro Kilo.
In China nämlich ist die Krabbe durch die Umweltverschmutzung mittlerweile arg bedroht. Dort zahlt man für gut gewachsene Exemplare teilweise schon Kilopreise von über 40 Euro.
Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.
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