Rheine. Vivien Wallmeyer beugt sich über einen hellgrünen Baumwollstoff und zieht mit einem skalpellartigen Messer feine Fäden auseinander. Sie zählt damit die Kett- und Schussfäden. Ihre wichtigsten Werkzeuge dabei: eine Lupe – und natürlich ihre Augen!

„Wir haben beim Thema Gesundheitsmanagement einen neuen Blickwinkel gesucht.“

Stefanie Windhoff, Assistentin der Geschäftsleitung

„Diese Arbeit mache ich mehrere Male am Tag“, sagt die Textillaborantin beim aktiv-Besuch im Textilunternehmen Kettelhack. Jedes Mal muss die 24-Jährige dafür ganz nah am Stoff sein. „Das ist Hochleistungssport fürs Auge“, sagt Alexandra Hilge. Sie ist Augenoptikermeisterin sowie Funktionaloptometristin und hat im Auftrag des Betriebs im nordrhein-westfälischen Rheine einen Blick auf die visuellen Arbeitsbedingungen der rund 100 Mitarbeiter geworfen. Und ein Trainingsprogramm entwickelt, mit Fokus auf das Sehorgan.

„Wir haben beim Thema Gesundheitsmanagement einen neuen Blickwinkel gesucht. Klassische Themen wie Bewegung, Ergonomie oder Stressbewältigung hatten wir schon“, erklärt Stefanie Windhoff. Die Assistentin der Geschäftsleitung hat die Initiative organisiert und begleitet.

Expertin spürte problematische Arbeitsabläufe im Labor, der Warenschau und der Konfektion auf

Expertin Hilge hielt zunächst coronabedingt Online-Seminare, die rund 30 Mitarbeiter aus Produktion und Verwaltung besuchten. Dann spürte sie vor Ort fürs Auge problematische Arbeitsabläufe auf. Die fand sie im Labor, der Konfektion und der Warenschau: „So konnte ich individuelle Trainings entwickeln und Verbesserungsvorschläge machen.“

Für das Fadenzählen der Laborantin etwa ist der gezielte und effektive Wechsel zwischen verschiedenen Bereichen wichtig. „Trainieren kann man das mit Blicksprüngen nach rechts oder links, nach oben oder unten.“ Die Übung dafür nutzt eine Tabelle, in der das Auge nach einer vorgegebenen Reihenfolge in Spalten und Reihen springen muss. Hierbei wird Qualität und Ausdauer der Blicksprünge trainiert.

Es ist ernom, was das Auge jeden Tag an Leistung erbringen muss

Bei einer anderen Übung muss der Teilnehmer den Daumen fixieren, während er die dahinter liegenden Smileys unscharf wahrnimmt. Die Leistung dabei: Sich von den unscharfen Smileys im Hintergrund nicht ablenken zu lassen und mit den Augen den Daumen zu fixieren. Es entsteht ein 3-D-Effekt. Er trainiert die Fähigkeit der Augen zur Einwärtsdrehung.

Vielen Mitarbeitern ist so klar geworden, welche Leistung ihr Sehorgan täglich vollbringen muss. „Mein Auge ist mein wichtigstes Arbeitswerkzeug“, hat Laborleiterin Sabine Otte gelernt. Manche fürs Auge anstrengende Arbeit ist für sie Standard, wie der Pilling-Test im Normlicht-Studio. Otte ist dabei einem starken Hell-Dunkel-Kontrast ausgesetzt. „Das ist purer Stress fürs Auge“, urteilt Expertin Hilge. Auch deshalb sei eigenverantwortliches und regelmäßiges Training wichtig: Es erhöht die Leistungsfähigkeit, damit das Sehorgan nicht so oft im Grenzbereich arbeitet.

Andere Störfaktoren konnte Hilge ganz abstellen. In der Warenschau strahlen die LED-Leuchten jetzt gedimmt, um störende Nachbilder auf der Netzhaut zu verhindern. Auch im Lager, in das bald eine vollautomatische Konfektionsmaschine einzieht, wird das LED-Lichtsystem augenfreundlich angepasst. Windhoff: „Wir haben das Thema weiter voll im Blick.“

Experten-Tipps für entspannte Augen

In die Ferne gucken. Schauen Sie mehrmals am Tag für zwei bis drei Minuten (und das ist länger, als man denkt) aus dem Fenster: Der Blick in die Ferne tut gut, weil sich Augenfunktionen durch die Weitsicht entspannen.

Hände auflegen. Schließen Sie die Augen und legen Sie beide Hände leicht gewölbt über die Augäpfel. Die Handballen liegen dabei auf den Wangenknochen. Ein bis zwei Minuten dieser Dunkelheit lassen die Augen wieder „auftanken“, das steigert die Sehqualität.

Schwache Augen: Zahlen aus Deutschland 41 Millionen Bundesbürger tragen eine Brille 36 Prozent der Brillenträger sind im Alter zwischen 20 und 29 3,4 Millionen Deutsche tragen Kontaktlinsen.

Quelle: Allensbach-Brillenstudie 2020

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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