Wie betankt man eine über 50 Meter hohe Rakete, die für ihre Reise ins All tonnenweise Treibstoff aufnehmen muss? Vor dieser Frage standen die Techniker des Raumfahrtzentrums Kourou (Französisch-Guayana), als in den 90er Jahren die ersten Starts der „Ariane 5“ vorbereitet wurden.

Die Lösung kam schließlich aus der 8.000 Kilometer entfernten Gemeinde Tornesch in Schleswig-Holstein. Hier sitzt das Unternehmen Witte Pumps & Technology, das vor 35 Jahren mit dem Bau von Spezialpumpen begann und mittlerweile zu den Weltmarktführern in diesem Bereich zählt.

Langlebig, robust und zuverlässig

Dass die „Ariane“-Experten ausgerechnet ein Modell der Tornescher verwendeten, ist kein Zufall. Gründer Reinhard Witte: „Für die Betankung der Rakete brauchte man eine Pumpe, die das hochexplosive Gemisch in den Tank und notfalls wieder auch zurückpumpen konnte. Das gab es damals nicht.“

Die Konstruktionen von Witte sind ganz besondere Pumpen. Es handelt sich um Zahnradpumpen, die bevorzugt dort eingesetzt werden, wo es auf eine lange Lebensdauer, hohe Förderdrücke und eine extreme Belastbarkeit ankommt.

Auch Einsatz im Offshore- und Marinebereich

Daher wird dieser Typ gerne als Öldruckpumpe in Kraftfahrzeugen verbaut, denn eine wartungsarme und zuverlässige Schmierung ist elementar für jeden Motor. Auch bei der Förderung hochviskoser Schmelzen, die unter hohen Temperaturen und Drücken durch Rohrleitungen gepresst werden müssen, kommen meist Zahnradpumpen zum Einsatz. Handelsübliche Kolben- oder Membranpumpen wären mit dieser Aufgabe komplett überfordert.

35 Jahre nach Gründung ist der Pumpenbauer Witte in seinem Bereich Weltmarktführer

„Unsere Kunden kommen aus den Bereichen Chemie-, Kunststoff-, Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittel-Industrie“, sagt Geschäftsführer Sven Wieczorek (54). „Außerdem werden Witte-Pumpen im Offshore- und Marinebereich eingesetzt und in der Petrochemie.“

Gründung im Keller eines Einfamilienhauses

Der promovierte Verfahrensingenieur kennt das Unternehmen seit seiner Studienzeit, weil er dort in den Semesterferien jobbte. Er stammt gebürtig aus Uetersen, wo Witte 1984 gegründet wurde. Allerdings anders als viele amerikanische Start-up-Firmen nicht in einer Garage, sondern im Keller eines kleinen Einfamilienhauses, wie Wieczorek erzählt.

Gründer Reinhard Witte betrieb die Firma zusammen mit seiner Frau – er bot Ersatzteile für Zahnradpumpen an und kümmerte sich um die Aufträge, sie erledigte die Buchhaltung. So wurde der Zwei-Personen-Betrieb zu einem erfolgreichen Unternehmen mit einem soliden Kundenstamm.

Jahresumsatz verdreifacht, Belegschaft verdoppelt

Als jedoch Ende der 90er Jahre die Nachfolge zu regeln war, gab es keinen passenden Kandidaten in der Familie. Daher machten die Wittes Sven Wieczorek erst zum Geschäftsführer ihrer Firma und 2004 zum Inhaber.

Eine kluge Entscheidung, denn der neue Chef bewies eine gute Hand. Er verlagerte den Firmensitz nach Tornesch, wo ein hochmodernes neues Werk gebaut wurde. Außerdem verdreifachte er den Jahresumsatz auf aktuell 20 Millionen Euro und verdoppelte die Belegschaft auf etwa 70 Mitarbeiter am Standort Tornesch. Weltweit sind es rund 100.

Kein Wachstum um jeden Preis

Zu verdanken ist das unter anderem der Expansionsstrategie der letzten Jahre. Das Unternehmen, das anfangs vor allem auf deutsche Kunden fokussiert war, setzte mehr und mehr auf neue Märkte außerhalb der Heimat. Das neue Konzept ging auf, „der Export macht heute 70 bis 75 Prozent vom Umsatz aus“, so Wieczorek.

Ein mindestens ebenso wichtiger Teil des Erfolgs ist die überschaubare Größe des Mittelständlers. Witte ist zwar gewachsen, aber immer mit Augenmaß. Das sichert die notwendige Beweglichkeit. Geschäftsführer Wieczorek: „Konzerne sind behäbig, wir nicht – das ist unser großer Vorteil.“

Zulieferer aus der Region

Das Unternehmen wusste diesen Vorteil zu nutzen und baute die eigene Position kontinuierlich aus. „In der chemischen Industrie sind wir mit unseren Pumpen heute Weltmarktführer“, bilanziert Wieczorek, „ansonsten die Nummer zwei weltweit.“ Die beiden Wettbewerber, die es gibt, sitzen weit weg – einer hat seinen Standort in der Schweiz, der andere in Asien.

Wittes Zulieferer dagegen kommen überwiegend aus der Region und den übrigen Bundesländern. Aus dem Ausland werden nur wenige Teile eingekauft, was sich in Zeiten der Coronakrise als echter Vorteil erwies.

Verzicht auf Fertigungstiefe

Wieczorek: „Wir hören aktuell immer wieder von Betrieben, die Probleme mit ihren Lieferketten haben, und das vor allem dort, wo man auf Teile aus dem Ausland angewiesen ist. Davon sind wir aufgrund unserer Einkaufsstrategie glücklicherweise kaum betroffen.“

Ein weiterer Unterschied zu anderen Firmen der Metall- und Elektro-Industrie: Die Fertigungstiefe bei Witte ist auffallend niedrig. Die benötigten Pumpengehäuse, Zahnräder und alle anderen Teile werden nicht im eigenen Haus produziert, sondern zugekauft.

Pumpen für Cremes und Kaugummi

Alles andere wäre auch wenig sinnvoll, denn die klassische Serienfertigung gibt es hier nicht. Stattdessen maßgeschneiderte Pumpen für die individuellen Bedürfnisse des Kunden. Sven Wieczorek: „Wir liefern in der Regel Unikate, die nur einmal und nie wieder gebaut werden. Das ist eine Lücke, die wir entdeckt haben und nun füllen.“

Pro Jahr entstehen so in Tornesch rund 2.000 Pumpen ganz unterschiedlicher Größenordnung. Einige sind so klein wie eine Streichholzschachtel, andere größer als ein Kühlschrank. Die größten Exemplare wiegen im fertigen Zustand um die 20 Tonnen und kosten mehrere Hunderttausend Euro.

Eine der Pumpen steht übrigens ganz in der Nähe von Tornesch, nämlich in Hamburg bei der Firma Beiersdorf, wo sie bei der Herstellung von Nivea-Creme und Tesafilm Einsatz findet. Und auch der weltgrößte Kaugummihersteller Wrigley setzt auf die Kraftpakete von Witte, um seine zähflüssigen Rohstoffe in die Mischmaschinen zu pumpen.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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