Es sind Worte wie Donnerhall, ungewohnt und laut: „Kriegstüchtig“ müsse Deutschland werden, fordert Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius. Kanzler Olaf Scholz versichert dem Nato-Partner Litauen, man werde „jeden Quadratzentimeter des Bündnisgebiets verteidigen“. Und es folgen Taten: Derzeit laufen die Vorbereitungen zur Stationierung einer Bundeswehrbrigade im Baltikum.

Auch der „Rüstungsindustrieminister“, wie sich Wirtschaftsminister Robert Habeck mittlerweile selbst nennt, macht klare Ansagen. Die Industrie müsse dringend die Produktion von Waffen hochfahren. „Aufrüstung ist eine wichtige Priorität dieser Regierung. Ohne Sicherheit ist alles nichts“, so der Grünen-Politiker.

Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine herrscht ein neuer sicherheitspolitischer Sound. Und mit der neuen Bedrohungslage hat sich nicht nur die Stimmung in der Bevölkerung verändert. Sondern auch die Wahrnehmung der Bundeswehr – und der heimischen Rüstungsindustrie. Wohlgemerkt: zum Positiven!

Branche war lange Zeit verpönt wie die Porno- oder Glücksspiel-Industrie

„Die Rüstungsindustrie ist raus aus der Schmuddelecke“, sagt Susanne Wiegand. Sie ist Vorstandsvorsitzende von Renk in Augsburg. Das Unternehmen fertigt Panzergetriebe sowie Antriebssysteme für Kriegsschiffe. Und wenn es um die veränderte Wahrnehmung der Branche geht, nimmt die Renk-Chefin kein Blatt vor den Mund. Politiker etwa ließen sich neuerdings auch wieder vor Panzern oder Flugzeugen ablichten, beobachtet sie. „Es gab Zeiten, da war das nicht so.“

Doch jetzt bewegt sich was. Auch in der Gesellschaft. Viele Renk-Mitarbeiter hätten jahrelang selbst unter Freunden nicht sagen wollen, wo sie arbeiten, berichtet Wiegand auf Nachfrage von aktiv. „Das ist vorbei.“ Auch in der Personalabteilung spüre man den Wandel. „Bei uns bewerben sich Menschen, die sagen: Ich gehe bewusst in die Rüstungsindustrie, denn was dort produziert wird, wird jetzt gebraucht“, so die Firmenchefin. „Diese Menschen möchten etwas Sinnhaftes machen.“

Jahrzehntelang war die Branche verpönt wie sonst wohl nur die Glücksspiel- und Porno-Industrie. Plötzlich ist sie angesagt. Woran das liegt, ist klar. An Russlands brutaler Aggression einerseits. Und, andererseits, an der gewachsenen Erkenntnis, sich nicht mehr wie früher ganz bequem auf die USA als Garanten europäischer Sicherheit verlassen zu können. Lange genug hat nämlich Deutschland genau das getan. Das Institut der deutschen Wirtschaft beziffert die „Friedensdividende“, also die Entlastung des Staatshaushalts durch reduzierte Rüstungsausgaben, auf knapp 400 Milliarden Euro.

Eine Summe, die Spuren hinterlassen hat: Panzer, die nicht fahren, Hubschrauber, die nicht fliegen. Lange war das bloß Anlass für Spott. Jetzt aber ist uns das Lachen vergangen.

Nur Aufträge für 18 neue Leopard-Panzer

In der Industrie beobachtet man den Zustand der Streitkräfte schon länger mit Sorge: „Die Bundeswehr hat eine Schlüsselrolle in Europa“, sagt Renk-Chefin Wiegand. Das Bereitstellen der Landstreitkräfte in Mitteleuropa und die Sicherung der Ostflanke sei in erster Linie deren Aufgabe. „Ich sehe aber nicht, wie das deutsche Heer diese Rolle in seinem jetzigen Zustand übernehmen könnte.“ Von den Kampfpanzern, die man im Kalten Krieg gehabt habe, seien nur noch etwa 10 Prozent übrig.

Eine deutliche Verbesserung der Ausstattung der Truppe sei auch durch die viel besungene „Zeitenwende“ noch nicht eingetreten, so Wiegand: „Für den Leopard-Panzer gibt es aus Deutschland 18 Neuaufträge. Das ist exakt die Menge, die Deutschland an die Ukraine abgegeben hat. Mit einer Rückkehr zur Vollausstattung der Bundeswehr hat das nichts zu tun.“

Zwei Drittel der Deutschen sind schon heute zu deutlich höheren Verteidigungsausgaben bereit

In der Branche begrüßt man daher, dass die Diskussion um die Ausstattung der Bundeswehr auch mit Begriffen wie „kriegstüchtig“ und „wehrhaft“ jetzt endlich an Fahrt gewinnt. „Eine klare Sprache gehört dazu, um zu transportieren, wie sich die Welt entwickelt, wie ernst die Lage ist“, sagt Thomas Gottschild, Geschäftsführer von MBDA Deutschland, gegenüber aktiv.

Das Unternehmen mit Sitz im oberbayerischen Schrobenhausen stellt unter anderem Luftverteidigungssysteme sowie Raketen und Marschflugkörper wie den „Taurus“ her. Es gehe um „substanzielle“ Ausgaben für die Sicherheit, so der Firmenchef. „Man muss der Gesellschaft erklären, wofür dieses Geld ausgegeben wird, begleitet durch eine außen- und sicherheitspolitische Debatte.“

Die grundsätzliche Bereitschaft für „deutlich höhere Verteidigungsausgaben“ ist zumindest in der Bevölkerung bereits da. Laut aktueller Umfrage des Instituts Forsa unterstützen zwei Drittel der Deutschen diese Forderung.

Doch was heißt das eigentlich genau? In diesem Jahr hat Deutschland dank des 100-Milliarden-Sondervermögens erstmals das Nato-Ziel für Verteidigungsausgaben in Höhe von 2 Prozent der Wirtschaftskraft erreicht. Doch spätestens 2028 wird dieses Geld wohl aufgebraucht sein.

Experten rechnen mittlerweile ohnehin mit 3 Prozent und mehr, die in den kommenden Jahren nötig sein könnten. Für Deutschland würde das Ausgaben von deutlich über 100 Milliarden Euro bedeuten – und zwar pro Jahr! Mehr als eine Verdopplung des aktuellen Verteidigungsetats.

Abkehr von Einzelaufträgen, hin zur seriellen Fertigung

Doch mehr Geld allein reicht noch nicht. In der Industrie hofft man jetzt darauf, dass sich die Beschaffung der Bundeswehr zukünftig verstetigt, besser planbar wird. Renk-Chefin Susanne Wiegand: „Die Politik muss der Rüstungsindustrie mittel- und langfristige Abnahmegarantien zusagen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Unternehmen investieren.“

Zustimmung erhält Wiegand hier auch von MBDA-Geschäftsführer Gottschild. „Erst wenn ein Auftrag da ist, können wir verlässlich planen.“ Auch Rahmenverträge, die zumindest Preise, Stückzahlen und Fristen fixierten, seien da schon hilfreich. „Das versetzt uns in die Lage, in Kapazität zu investieren und unsere Lieferketten vorzubereiten“, sagt Gottschild.

Einzelaufträge oder Sonderlösungen in kleinsten Stückzahlen, in der Vergangenheit besonders gern von der Bundeswehr geordert, passen dagegen angesichts der Herausforderungen nicht mehr in die neue Zeit. Renk-Chefin Susanne Wiegand: „Wir müssen in die Skalierung kommen.“ Ihr Unternehmen sieht sie dafür schon gut vorbereitet: „Zu uns kommen jetzt Experten aus der Auto-Industrie. Und diese Menschen wissen, wie eine industrielle Serienproduktion auf hohem Niveau funktioniert.“

An mangelndem Selbstbewusstsein der Industrie dürfte die Rückkehr zu einer wehrhaften Truppe jedenfalls nicht scheitern. Wiegand: „Die deutsche Rüstungsindustrie ist sehr leistungsfähig. Wir haben in vielen Bereichen die besten Produkte der Welt.“

Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

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Michael Stark
aktiv-Redakteur

Michael Stark schreibt aus der Münchner aktiv-Redaktion vor allem über Betriebe und Themen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Darüber hinaus beschäftigt sich der Volkswirt immer wieder mit wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen. Das journalistische Handwerk lernte der gebürtige Hesse als Volontär bei der Mediengruppe Münchner Merkur/tz. An Wochenenden trifft man den Wahl-Landshuter regelmäßig im Eisstadion.

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