Das Jahr 2024 begann für rund 370 Passagiere von Japan Airlines mit einem Schock: Bei der Landung am Flughafen Tokio-Haneda kollidierte ihr Jet mit einem Flugzeug der Küstenwache und ging sofort in Flammen auf. Doch die Fluggäste hatten Glück, nach wenigen Sekunden entfaltete sich die Notrutsche und ermöglichte eine rasche Evakuierung. Alle Insassen der Maschine überlebten.

Dass die Rutsche trotz der winterlichen Verhältnisse so einwandfrei funktionierte, ist maßgeblich den technischen Komponenten zu verdanken, mit denen die Konstruktion ausgestattet ist. Dazu zählen unter anderem spezielle Beschläge, die wegen der Minustemperaturen in großen Höhen beheizbar sind und so eine Blockade durch Vereisung verhindern.

Anfangs ein AEG-Betrieb

Beschläge dieser Art werden auch in Wedel westlich von Hamburg produziert, wo das Unternehmen Vincorion Advanced Systems seinen Sitz hat. Die ehemalige Tochter des Konzerns Jenoptik ist ein Technologiespezialist mit Ausrichtung auf mechatronische Lösungen und Produkte einschließlich der damit verbundenen Dienstleistungen und zählt zu den wichtigsten Hightech-Betrieben der Region.

Bekannt ist der Mittelständler, der anfangs zu AEG gehörte und sich 2022 von Jenoptik löste, vor allem für die Stabilisatoren, die in Panzern wie dem „Leopard 2“ und dem „Puma“ verbaut sind. Sie sorgen dafür, dass das Fahrzeug seine Kanone selbst bei voller Fahrt durch unebenes Gelände exakt ausrichten und präzise Schüsse abgeben kann. Daneben entwickelt und produziert Vincorion aber auch viele andere wehrtechnische Produkte.

Neues multinationales Luftabwehrsystem

Dazu zählen auch wichtige Komponenten für Plattformen wie die „European Sky Shield Initiative“ (ESSI), wie Geschäftsführer Stefan Stenzel erklärt. „Der Schutz vor Luftangriffen durch Raketen, Drohnen, Marschflugkörper und Flugzeuge ist von immenser Bedeutung“, so Stenzel. Daher wird derzeit mit ESSI ein bodengestützter Luftverteidigungsverband für europäische Länder entwickelt.

Aus deutscher Sicht soll es auf drei Plattformen basieren: „IRIS-T“, „Patriot“ und „Arrow 3“. Stenzel: „Hier spielt Vincorion eine wichtige Rolle, denn unsere Technik versorgt sowohl ‚IRIS-T‘ als auch ‚Patriot‘ mit elektrischer Energie und ermöglicht es diesen Systemen, völlig unabhängig von öffentlicher Infrastruktur im Feld zu operieren.“

Auch Ökologie spielt eine Rolle

Ähnlich innovativ sind die Holsteiner beim Thema Ökologie, denn Vincorion setzt schon seit einiger Zeit auf „Green Defense“. Geschäftsführer Stenzel: „Die Nato will bekanntlich bis 2050 CO2-neutral werden, und dafür sind wir mit unserer Expertise genau der richtige Partner. Denn ein ökologischer Ansatz hat ja auch im Militärbereich handfeste Vorteile: Man reduziert mit dem Energieverbrauch nicht nur den Schadstoffausstoß, sondern auch den Logistikbedarf, was Kapazitäten einspart und damit letztlich die Sicherheit der Soldaten erhöht.“

Ein weiterer Vorteil „grüner militärischer Lösungen“ liegt laut Stenzel in der erhöhten Effizienz und Flexibilität der Einsätze. Dies wird durch geringere Lärm- und Wärmeemissionen, längere Betriebszyklen und einen geringeren Bedarf an Wartung und Reparatur erreicht.

Beschäftigte an vier Standorten

Diese Aspekte spielen auch eine Rolle bei dem Projekt „Main Ground Combat Vehicle“ (MGCS), an dem seit einiger Zeit in Deutschland und Frankreich gearbeitet wird. Es geht um einen neuen Panzer, der als Nachfolger für den „Leopard“ und den französischen „Leclerc“ gedacht ist. Stenzel: „Wir haben für die Bundeswehr eine Studie für ein künftiges Energiesystem erarbeitet.“

Kein Wunder also, dass die Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Unternehmens gut besetzt ist. Hier arbeiten über 100 Ingenieure an neuen Produkten – zum Teil mit jahrzehntelangem Vorlauf. Insgesamt hat Vincorion aktuell rund 800 Beschäftigte, 480 davon am Standort Wedel, die anderen arbeiten in Essen (NRW), Altenstadt (Bayern) und El Paso (Texas, USA).

37 junge Menschen in Ausbildung

Im vergangenen Jahr gab es einen kräftigen Zuwachs, insgesamt wurden 89 Beschäftigte neu eingestellt. Geschäftsführer Stefan Stenzel: „Natürlich sind auch wir vom allgemeinen Fachkräftemangel betroffen, aber dennoch schaffen wir es, mit hervorragenden Sozialleistungen und außergewöhnlichen Produkten neue Kollegen zu finden und Nachwuchs einzustellen.“

Vincorion bildet zurzeit 37 junge Menschen aus, davon 19 am Hauptsitz Wedel, 16 in Altenstadt und 2 in Essen. Die Bandbreite reicht vom Elektroniker für Maschinen und Antriebstechnik bis zum dualen Wirtschaftsingenieur-Studium.

Niedrige Fluktuation und viel Nachwuchs

Auffallend niedrig ist die Fluktuation in der Belegschaft. Sie ist in den vergangenen Monaten weiter gesunken und liegt nun bei etwa 3 Prozent – deutlich unter dem Durchschnittswert vergleichbarer Betriebe. Einige Beschäftigte arbeiten bereits in zweiter und dritter Generation am Standort Wedel.

Für die künftige Entwicklung ist Stefan Stenzel zuversichtlich, denn „das, was wir tun, ist sinnvoll und wichtig“. Allerdings hänge viel davon ab, ob die Politik den eingeschlagenen Kurs bei der „Zeitenwende“ und der Ausrüstung der Streitkräfte in Deutschland auch hält. Stenzel: „Die Politik stellt weiterhin nicht alle Signale auf Grün. Die Defense-Industrie in Deutschland bewegt sich immer noch in Unsicherheiten: Auf große Ankündigungen folgen Streichungen. Für 2024 wünschen wir uns mehr Klarheit und Stringenz von der Politik.“

Doch es gebe auch positive Signale. Die Nachfrage nach Panzern ist laut Stenzel weiter hoch. „Das zweite Los ‚Puma‘ wurde inzwischen final beauftragt, auch andere Länder bestellen den ‚Leopard 2‘ und den ‚Boxer‘.“ Wichtig sei zudem die weitere Entbürokratisierung der Beschaffung.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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