Köln/München. Jahrelang hat er sich auf diese Mission vorbereitet, Überlebenstraining bei extremen Minusgraden in Schweden ohne Schlafsack, Zelt und Proviant inklusive. Im Herbst endlich soll es so weit sein: Dann fliegt der Saarländer Matthias Maurer zur Internationalen Raumstation. Damit wird wieder, drei Jahre nach der Rückkehr von Alexander Gerst, ein Deutscher an Bord der ISS sein, dem bemannten Außenposten der Menschheit. Ein halbes Jahr lang wird der Astronaut der Europäischen Weltraumagentur ESA wissenschaftliche Experimente unter Bedingungen der Schwerelosigkeit durchführen.

35 deutsche Experimente stehen auf dem Plan der neuen ISS-Mission

Maurers Flug ist ein Space-Highlight. Eines unter vielen. Vom Mini-Satelliten bis zur Rakete: Heimische Firmen drängen ins All. 2021 wird Deutschlands Raumfahrt-Jahr. Doch die kleinen innovativen Start-ups, die in diesem Jahr abheben möchten, werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Blicke richten sich meist nur auf die milliardenteure bemannte Raumfahrt.

„Dabei entfallen nur etwa 10 Prozent der ESA-Kosten auf diesen Zweig“, sagt Raumfahrt-Professor Ulrich Walter von der Technischen Universität München. „Und derzeit ist bemannte Raumfahrt zu 100 Prozent die Internationale Raumstation“, so der ehemalige Astronaut.

35 deutsche Experimente stehen auf dem Plan der neuen Mission. So wird etwa der innere Rhythmus des Menschen durch Bestimmung seiner Körperkerntemperatur durch einen Mini-Doppelsensor untersucht. Es geht um Tests eines Druckers, der Wunden mit Biotinte verschließt. Und um neue Medikamente. Bessere Legierungen für Flugzeugturbinen oder Motorblöcke stehen ebenso auf dem Programm. Und ein Staubexperiment soll Rückschlüsse zur Entstehung von Planeten liefern. Von den Aktivitäten an Bord werden unsere Forschung und Wirtschaft profitieren.

Bei den großen staatlichen Raumfahrtprogrammen geht es allerdings nicht ums große Business. Im Gegensatz zu den neuen innovativen Unternehmen, die mit kommerzieller Raumfahrt, auch New Space genannt, Geld verdienen wollen. Sie revolutionieren eine Branche, die bislang von Großkonzernen dominiert wird.

350 Milliarden Dollar – so hoch ist der Jahresumsatz der globalen Weltraum-Industrie

Das Geschäft brummt: Schon heute macht die globale Weltraum-Industrie rund 350 Milliarden Dollar Umsatz im Jahr. 2040 wird die Branche nach einer Prognose der Investmentbank Morgan Stanley gar mehr als 1 Billion Dollar erwirtschaften.

Das ruft Newcomer auf den Plan, vor allem in Amerika sind Start-ups stark. „Die Hälfte des Weltmarkts entfällt allein auf die USA. Deutschland bringt es schätzungsweise auf 1 Prozent“, so Raumfahrtexperte Walter. „Die gute Nachricht – da hat sich bei uns in den letzten Jahren sehr viel getan. Deutschland und Europa holen in Sachen New Space auf.“

Ob Isar Aerospace oder Ororatech: So heißen die Newcomer der Raumfahrtbranche

Ein Beispiel ist das Münchener Start-up Isar Aerospace. Es plant Ende 2021 den ersten Start seiner Trägerrakete Spectrum, die nur 27 Meter lang und somit deutlich kleiner und billiger sein wird als etwa eine Ariane 5. Der Himmelsstürmer made in Bavaria soll in den nächsten Jahren viele Satelliten in die Erdumlaufbahn schießen – im Auftrag von Unternehmen wie Airbus sowie für Universitäten. Die Firma will die Kosten eines Satellitentransports auf bis zu ein Fünftel drücken. Der Hersteller profitiert davon, dass Satelliten immer kompakter werden. Früher waren sie groß wie ein Bus und wogen locker fünf Tonnen. Heute sind es bei einem Kleinsatelliten nur 200 Kilo. Das erfordert selbst beim Transport mehrerer Satelliten eine nicht mehr so extreme Schubkraft.

Der Bremer Raumfahrtkonzern OHB wiederum finanziert die Firma Rocket Factory Augsburg, die ab 2022 kleine Nutzlasten bis 1,5 Tonnen in Erdumlaufbahnen bringen will. Von diesen Mini-Satelliten gibt es immer mehr. Beispiel Ororatech: Die Münchener Firma will 2021 eigene Minis kleiner als eine Schuhschachtel in den Orbit schicken. Sie hat winzige Infrarotkameras mit künstlicher Intelligenz ausgestattet, die Waldbrände erkennt und Alarm auslöst.

Von einem Schiff in der Nordsee aus könnten künftig Mini-Raketen starten

Damit die jungen Firmen international gut mitmischen können, macht sich der Industrieverband BDI für eine Startplattform (wie etwa ein Schiff) speziell für kleine Trägerraketen in der deutschen Nordsee stark. Erste Starts sind ab 2023 geplant. Ende 2020 hat sich ein Unternehmenskonsortium gegründet, das die Idee vorantreiben soll. Mit dabei ist die OHB-Gruppe.

Aber für das Gelingen muss noch eine rechtliche Hürde genommen werden: Ohne ein deutsches Weltraumgesetz darf man von deutschem Boden aus nicht ins All starten, warnt Walter. „Es muss darin geklärt werden, wer zahlt, wenn es nach dem Start in der Nordsee zu einem Unfall kommt, ein Trümmerteil auf ein Schiff einschlägt.“ In Europa haben Großbritannien, Schweden und selbst das kleine Luxemburg ein solches Gesetz: „Da muss Deutschland unbedingt nachziehen.“