Gelassen und dennoch gebannt verfolgt Keno Dirks den ersten Schwerlasthub des neuen Portalkrans TCC 78000 im Seehafen Rostock. Der Gigant wurde gerade erst aufgestellt und ragt nun auf dem Gelände von Liebherr-MCCtec Rostock hoch in den Himmel. Der 39-jährige Projektleiter, von kräftiger Statur und mit blondem Zopf, hat „mal wieder ein ziemlich großes Objekt“, wie er mit norddeutscher Bescheidenheit sagt, erfolgreich gemanagt.

Und wie der Zufall es will, feiert Dirks an diesem Tag, an dem der neue Megakran im Beisein von rund 70 Gästen – darunter Willi und Isolde Liebherr aus dem Verwaltungsrat des Familienkonzerns – eingeweiht wird, eine rundes Jubiläum: Vor genau zehn Jahren hat er bei dem Unternehmen in Rostock angeheuert.

Demonstrations-Last von 250 Tonnen

Der Kran, einer der stärksten und größten seiner Art weltweit, arbeitet eher gemächlich. Zur Demonstration wird eine Last von 250 Tonnen in die Höhe befördert. „Um dieses Gewicht einen Meter anzuheben, müssen auf den beiden Kranwinden jeweils 16 Meter Seil aufgetrommelt werden“, erklärt Dirks die zeitlupenartige Aufwärtsbewegung. Ausgelegt ist der TCC 78000 für Maximallasten von 1.600 Tonnen – er könnte also auf einen Schlag 32 Passagierflugzeuge vom Typ Airbus A321 anheben.

Diesmal hängt am Haken allerdings kein Jet, sondern ein Bauelement des Offshore-Krans RL-K 4200, der ebenfalls im Rostocker Liebherr-Werk gefertigt wurde. Er soll künftig auf dem Deck des neuen Spezialschiffs „Orion“ stehen, zusammen mit einem zweiten RL-K 4200 und dem neu entwickelten und bisher leistungsstärksten Liebherr-Kran vom Typ HLC 295000.

Drei Krane für das Spezialschiff „Orion“

Auch der HLC 295000 beeindruckt mit rekordverdächtigen Leistungswerten, er kann Maximallasten von 5.000 Tonnen bewegen. Dirks: „Im Grunde ist die Errichtung des TCC 78000 in Rostock von den Plänen für diesen riesigen Schiffskran initiiert worden.“

Die Produktion des HLC 295000 läuft bereits auf Hochtouren. Nach Angaben von Leopold Berthold, Geschäftsführer Vertrieb bei Liebherr-MCCtec Rostock, wird die Montage der drei Krane auf der „Orion“ demnächst im Seehafen stattfinden.

Im Vorfeld waren umfangreiche Arbeiten am Kai erforderlich

Dann steht die erste große Bewährungsprobe für den neuen Schwerlastportalkran auf Pier III an. Auf einem 420 Meter langen Schienenstrang mit einer Spurbreite von 30 Metern kann der TCC 78000 die schweren Bauteile vom Firmengelände direkt bis an den angrenzenden Liegeplatz 15 zum Schiff bugsieren.

Die 30 Meter lange Kaikante wurde vorab umfassend für entsprechende Schwerlasten ertüchtigt. Die Rostock Port GmbH investierte nach eigenen Angaben etwa 7,5 Millionen Euro in die Baumaßnahme. Auch das Bundesland Mecklenburg-Vorpommern beteiligte sich, es förderte den Ausbau der Schienen- und Hafeninfrastruktur mit 6,2 Millionen Euro. Die Gesamtinvestition für die Krananlage beziffert Liebherr auf rund 45 Millionen Euro.

Höher als die Hamburger Köhlbrandbrücke

Dafür bekam der Seehafen Rostock ein stattliches neues Wahrzeichen, das imponierende Ausmaße hat. Wenn der Stahlgigant seinen Ausleger in die Höhe stellt, ist er rund 165 Meter hoch und damit 30 Meter höher als die Hamburger Köhlbrandbrücke.

Zur Inbetriebnahme bezeichnete Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschaftsminister Harry Glawe den „Kran der Superlative“ symbolisch als „höchsten Leuchtturm in der Region“. In Dimension und Leistungsparametern bilde der TCC 78000 einen „attraktiven Standortfaktor“ im wirtschaftlichen Zentrum des Landes.

Mitglieder der Familie Liebherr bei Einweihungsfeier

Er biete dem Seehafen zusätzliche Kapazitäten für den Umschlag von Projekt- und Schwerlastladungen und eröffne die Chance auf weitere Ansiedlungen von Industrieunternehmen, die ihre Produkte von Rostock in alle Welt verschiffen können.

Für Unternehmerin Isolde Liebherr, die mit ihrem Bruder Willi zur Einweihungsfeier angereist war, ist die Millioneninvestition in den Megakran ein „weiterer Meilenstein“ in der Entwicklung des Liebherr-Standorts an der Warnow. „Es war die richtige Entscheidung, vor über 15 Jahren mit der Produktion maritimer Krane an die Küste zu gehen“, sagte die 70-Jährige, die das Familienunternehmen gemeinsam mit ihrem Bruder führt.

Ein Team aus zehn Ingenieuren

Liebherr beschäftigt in Rostock inzwischen über 1.600 Mitarbeiter. Die Konzernsparte Maritime Krane trägt in der Firmengruppe rund 10 Prozent am Gesamtumsatz von 10 Milliarden Euro (2018) bei.

Das von Keno Dirks geleitete Kernteam für das Projekt TCC 78000 bestand aus zehn Ingenieuren. Es beschäftigte sich zwei Jahre lang mit sämtlichen Fragen und Details zum Stahlbau, zur Logistik sowie zum Transport, Aufbau und zur Montage des europaweit größten Hafenkrans.

Eine Unmenge technischer Aspekte war zu beachten, darunter auch scheinbar banale Anforderungen, die sich aus den gigantischen Maßen des Krans ergaben. So musste bei der Produktion, die vor einem Jahr begann, penibel darauf geachtet werden, „dass die einzelnen Teile nicht zu groß gerieten, denn sonst hätte man sie auf dem Werkgelände kaum transportieren können“, wie Dirks erklärt.

Allein der Querträger wiegt 440 Tonnen

Zudem ist beim Zusammenbau derartiger Riesenteile höchste Präzision gefragt. Allein der Querträger des Kranportals wiegt etwa 440 Tonnen. Er musste passgenau aufgesetzt werden, denn angesichts der anfallenden Schwerlasten könnte laut Dirks schon die geringste Abweichung die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen.

„Durch die einzigartige Kombination aus Hubhöhe und Kapazität ist der TCC 78000 besser als alle anderen verfügbaren technischen Lösungen in der Lage, maritime Krane der nächsten Generation sicher und wirtschaftlich aufbauen und verladen zu können“, betont Geschäftsführer Berthold.

Für Liebherr gewinnt der Bereich Offshore insbesondere in der Windenergie zunehmend an Gewicht. In der Offshore-Industrie für Erdöl und Gas dagegen registriert Berthold eine gewisse „Investitionsmüdigkeit“, die nach seiner Einschätzung unter anderem den weiterhin niedrigen Rohölpreisen geschuldet ist. Von daher bieten der Aufbau neuer Windparks auf See und der Rückbau veralteter Anlagen aus seiner Sicht eine gute Alternative.

Technische Parameter TCC 78000

Eigengewicht: 5.500 Tonnen

Kranhöhe: 107 Meter

Max. Gesamthöhe mit Ausleger: 164 Meter

Max. Hubhöhe: 112 Meter

Max. Hublast (bei 34 Meter Auslage): 1.600 Tonnen

Portaldurchfahrtshöhe: 17 Meter

Schienenspurbreite: 30 Meter

Aktionsradius: 360 Grad