Schweißen ist ein bisschen wie Eiskunstlauf, sagt Marven Vöge. In der A-Note kommt es auf technische Abläufe an, in der B-Note wird der subjektive Eindruck bewertet. „Eine schöne Schweißnaht ist letztlich eine Sache der Betrachtung“, weiß der 21-Jährige. „Und wie auf dem Eis gibt es beim Schweißen keine identischen Kopien, nur die wiederholte Annäherung an die perfekte Übung.“
Vöge muss es wissen, er befasst sich seit geraumer Zeit fast ausschließlich mit diesem Thema. Er trainiert für die WorldSkills 2015, die 43. Auflage der Berufeweltmeisterschaft, die Mitte August im brasilianischen São Paulo stattfindet. Das Ticket dafür hat er sich im Herbst 2014 gesichert, als er Sieger bei den deutschen Schweiß-Meisterschaften wurde.
Die Anreise damals war nicht ganz so aufwendig wie bei den World-Skills, denn der Wettbewerb wurde in Vöges Ausbildungsbetrieb Liebherr-MCCtec Rostock ausgetragen. Trotz des Heimvorteils war es allerdings ein hartes Stück Arbeit, denn bis zum Schluss lieferte er sich mit seinem Liebherr-Kollegen Thorben Richter ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen.
„Zuletzt hatte ich in einer Naht ein Wurzelproblem und habe dadurch entscheidende Punkte liegenlassen“, blickt Vize-Meister Thorben neidlos zurück. „Wer den Titel holt, war letztlich egal – wir haben als Team gewonnen.“ Das kämpferische Duo von der Ostseeküste bescherte der Liebherr-Gruppe zum ersten Mal die Deutsche Meisterschaft.
Der Ausgang des Wettkampfs hat die jungen Männer nicht entzweit, sie sind inzwischen eng befreundet. Kennengelernt hatten sie sich in der Ausbildung, die Thorben ein Jahr später als Marven begann. „Wir waren von Anfang an in einem Battle“, beschreibt Marven in jugendlichem Slang die Konkurrenz. „Plötzlich war da einer im ersten Lehrjahr, der es auf Anhieb draufhatte.“
„Marven und Thorben haben beide früh eine gute Handschrift beim Schweißen erkennen lassen“, bestätigt der Ausbildungsbeauftragte Enrico Engel. Der interne Wettstreit habe sie zu Bestleistungen angestachelt.
Wenn die zwei sich beim „Liebherr-Fußball“ treffen, fragt Thorben regelmäßig nach dem Stand der WM-Vorbereitung. Neben fachlichem Interesse gibt es dafür noch einen besonderen Grund: Sie werden nämlich beide nach Brasilien fliegen. Liebherr-MCCtec hat Thorben die Reise spendiert und honoriert damit seine tolle Leistung bei der nationalen Meisterschaft.
Für Marven wächst täglich die Spannung. „Theoretisch ist alles klar“, sagt er, „aber die Praxis wird nicht leicht.“ An vier Tagen muss er sein Können unter Beweis stellen, werden die Juroren seine Arbeit akribisch unter die Lupe nehmen.
Die Schweißnähte sollen schön aussehen und frei sein von Einbrandkerben und anderen Mängeln, erklärt Fachausbilder Thomas Schreinert. Er ist Schweißlehrer in der Liebherr-Akademie und bereitet Marven auf die WM vor. „Wir haben unseren Plan“, erklärt der 45-Jährige. Er weiß um die Fähigkeiten seines Schützlings, „aber Talent ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist hartes Training.“
Um bei den WorldSkills gut abzuschneiden, wird das bekannte Prüfungsprogramm intensiv geübt. Von der Vorbereitung der Werkstücke bis zum finalen Schweißen der „Kiste“. Damit gemeint ist ein eigenwillig konstruierter Druckbehälter mit komplizierter Geometrie und sehr unterschiedlichen Schweißnähten.
Marven kann Schweißnähte in stoischer Ruhe hinlegen. Schreinert bescheinigt dem jungen Facharbeiter neben Ehrgeiz eine „gewisse Leichtigkeit“, die für Top-Leistungen beim Schweißen unerlässlich sei. Während der Lichtbogen noch grell leuchtet, merkt Marven bereits, „ob es gut läuft“. Im Training zieht er auch Spezialnähte mit hochwertigen Werkstoffen wie Chrom-Nickel. Sie gehören nicht zu seinem Werkalltag. Seit Abschluss der Lehre Anfang 2015 arbeitet der 21-Jährige im Stahlbau des Rostocker Werks, verschweißt große Stahlkomponenten für Offshore- und Schiffskrane.
Nach einem Schulpraktikum wusste Marven: „Metallbau ist mein Element.“ Es schloss sich eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker im Rostocker Liebherr-Werk an. Als er Deutscher Meister im Schweißen wurde, war das in seinem Heimatort Rambin auf Rügen zunächst kein großes Thema. Beim Gewinn des WM-Titels in São Paulo könnte das anders laufen. „Vielleicht setzen sie ihm dann ein Denkmal“, unkt ein Kollege.
„Keine schlechte Idee“, findet Marven, grinst, klappt das Visier vors Gesicht und zieht die nächste, möglichst schöne Naht.
Wo sich die Besten der Besten treffen
Zum 43. Mal in der 65-jährigen Geschichte der Berufeweltmeisterschaft werden Jugendliche aus aller Welt in 50 Berufen wetteifern. Bei den WorldSkills, wie der internationale Leistungsvergleich seit Anfang der 90er-Jahre heißt, stellen junge Facharbeiter im Alter bis 23 Jahre vom 11. bis 16. August im brasilianischen São Paulo ihr theoretisches Wissen und praktisches Können unter Beweis. Diesmal sind mehr als 40 deutsche Kandidaten dabei. Deutschland war bislang dreimal Austragungsort für die WorldSkills.