Nach harten Verlustjahren wegen Corona hat die Kreuzfahrtbranche endlich wieder Wasser unterm Kiel. Die Buchungszahlen steigen stetig, und die Anbieter von Hochsee-Kreuzfahrten rechnen für 2023 mit weltweit mindestens 24 Millionen Passagieren und einem Gesamtumsatz von über 25 Milliarden Dollar – ein Plus von 40 Prozent gegenüber 2022.

Damit bekommen aber auch die ökologischen Aspekte der Branche neue Relevanz, denn die riesigen Schiffe haben einen enormen Energieverbrauch und oft hohe Emissionswerte. Das hat vor allem in den Häfen immer wieder zu Problemen geführt, da die Schiffe dort üblicherweise ihre Motoren weiterlaufen ließen, um den erforderlichen Strom zu erzeugen.

Pionierprojekt in Schweden

Abhilfe schaffen Landstromanlagen, über die ein Schiff während der Liegezeit mit sauberer Energie versorgt werden kann. Weltweiter Pionier bei diesem Thema war die schwedische Stadt Göteborg, die ihren Hafen bereits zur Jahrtausendwende mit Landstrom ausstattete. Inzwischen jedoch sind auch zahlreiche deutsche Häfen mit entsprechenden Anlagen ausgestattet.

Beispiel Kiel: Die Hauptstadt von Schleswig-Holstein ist eine der ersten Kommunen weltweit, die ein flächendeckendes Landstromangebot an allen Kreuzfahrt- und Fährterminals bietet. Hier wurden Ende September am Ostuferhafen gleich zwei neue Anlagen eingeweiht, mit denen sich Kreuzfahrt- und Fährschiffe versorgen lassen.

Der Seehafen Kiel hat ambitionierte Pläne

„Der heutige Tag ist ein echter Meilenstein“, sagte Oberbürgermeister Ulf Kämpfer bei der Übergabe der Förderbescheide durch Ministerpräsident Daniel Günther. „Seit 2019 investiert der Seehafen Kiel kontinuierlich in den Ausbau der Landstrom-Infrastruktur. Mittlerweile verfügen wir über eine der größten Anlagen Europas. Kiel will auch in Zukunft Vorreiterin in Sachen nachhaltiger Seetourismus und Mobilität sein.“

Der Landstrom-Ausbau zählt zu den zentralen Projekten des Kieler Seehafens zur Reduktion umweltschädlicher Emissionen. Nach Eröffnung der ersten Anlage am Norwegenkai mit einer Leistung von 4,5 Megavoltampere (MVA) im Jahr 2019 folgte 2021 eine kombinierte Anlage zur Versorgung von Kreuzfahrtschiffen am Ostseekai (16 MVA) und von Fährschiffen am Schwedenkai (5 MVA).

Zuschüsse von Land und Bund

Die Baukosten für das Projekt am Ostuferhafen summierten sich auf rund 17 Millionen Euro. Land und Bund beteiligten sich daran mit jeweils etwa 5,5 Millionen Euro, den Rest übernahm der Seehafen Kiel. Dessen Geschäftsführer Dirk Claus hat ehrgeizige Ziele. „Bis spätestens 2030 wollen wir alle Schiffe an unseren Liegeplätzen mit grünem Landstrom versorgen“, sagte er.

Errichtet wurden die neuen Anschlüsse am Ostuferhafen, wie schon die bestehenden Anlagen, von Siemens. Das Unternehmen besitzt eine hohe Expertise in Sachen Landstrom und hatte bereits 2007 eine entsprechende Lösung auf Basis seines Gleichstromübertragungssystems vorgestellt.

Baukastensystem von Siemens

Daraus entstand das Landanschlusssystem „Siharbor“, das sich vor allem durch seine Flexibilität auszeichnet. Es erlaubt durch die Kombination spezieller elektrischer Komponenten die Kopplung von Land- und Bordnetzen, die in der Regel mit unterschiedlichen Frequenzen und Spannungsebenen arbeiten.

Das Herzstück des Systems ist eine Industriesteuerung, die sich bereits seit 20 Jahren in Stromnetzen bewährt. Diese Steuerung braucht es, denn in der Praxis ist die Versorgung von Schiffen mit elektrischer Energie nicht ganz so trivial, wie es in der Theorie erscheint. Da der Strom im Landnetz eine andere Spannung und Frequenz hat als der Bordstrom, müssen diese Parameter mithilfe von Transformatoren und Umrichtern an die Bedürfnisse der jeweiligen Schiffe angepasst werden.

Der Lübecker Hafen machte den Anfang

Den ersten Landstromanschluss für Handelsschiffe in Europa errichtete Siemens vor 15 Jahren am Lübecker Nordlandkai. Die von den Stadtwerken bestellte Anlage war so ausgelegt, dass sie entsprechend ausgerüstete Frachtschiffe mit einem maximalen elektrischen Leistungsbedarf von 2,5 Megavoltampere versorgen konnte. Erstkunde war die finnische Reederei Transatlantik, die zuvor bereits den Hafen Kemi mit einem System dieser Art ausrüsten ließ. Dadurch konnten ihre drei Papierfährschiffe „Transpaper“, „Transpulp“ und „Transtimber“ in beiden Häfen mit Landstrom versorgt werden.

Der erste europäische Landstromanschluss für Kreuzfahrtschiffe folgte Mitte 2016, er entstand im Hamburger Hafen im Auftrag der Hamburg Port Authority (HPA). Das System hat eine Leistung von 12 MVA und arbeitet mit einem speziell für den Tidenhub ausgelegten fahrbaren Roboterarm. Das System bietet über ein speziell entwickeltes Kabelzuführungssystem eine besonders schnelle, einfache und flexible Verbindung zwischen Land und Kreuzfahrtschiff.

Landstrom auch für Containerterminals

Und auch Containerschiffe sollen in Hamburg bald die Möglichkeit haben, am Kai auf saubere Energie zuzugreifen. Die HPA hat unlängst mit dem Reederei-Konzern MSC eine Vereinbarung über die Nutzung von Landstrom getroffen – es ist die erste dieser Art mit einem Unternehmen außerhalb der Kreuzfahrtbranche.

Die Bauarbeiten zur Landstrom-Ertüchtigung der vier Hamburger Containerterminals sind längst angelaufen. So gibt es beispielsweise am Container Terminal Hamburg (CTH) von Eurogate schon mehrere Übergabepunkte, und der Terminal Tollerort (CTT), der durch den Einstieg der chinesischen Cosco-Gruppe für Aufsehen sorgte, wird demnächst ebenfalls Landstromanschlüsse anbieten können. Gleiches gilt für den wichtigsten Container-Umschlagplatz der Hansestadt, den Terminal Burchardkai (CTB).

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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