Hannover. „Die Lage ist ernst und in Teilen unserer Industrie außerordentlich kritisch!“ Mit diesen Worten umschreibt Dr. Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer von NiedersachsenMetall, die aktuelle Situation der niedersächsischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E). Der Arbeitgeberverband hatte in den letzten Wochen 480 Mitgliedsbetriebe der Branche befragt.

Zulieferer leiden unter Produktionsrückgängen der Autobauer

Dauerten normale Abkühlungsphasen in der Wirtschaft 12 bis 18 Monate, befinde sich Niedersachsens Industrie seit 38 Monaten im Krisenmodus, betont Schmidt. Durch Nachfrageeinbrüche, Chipmangel und Lieferengpässe sind große Teile angeschlagen. „Zwei Jahre Pandemie haben in nahezu allen bedeutenden Branchen schwere Bremsspuren hinterlassen“, sagt Schmidt.

Das Produktionsniveau lag vor Ausbruch des Ukraine-Kriegs immer noch unterhalb des Niveaus vor Corona, bei der Auto-Industrie betrug das Minus sogar 36 Prozentpunkte. Von 2017 bis 2021 hat sich die Zahl der hierzulande produzierten Pkws von jährlich 5,6 auf 2,6 Millionen Fahrzeuge mehr als halbiert. Schmidt: „Dies ist ein in der Geschichte der Automobil-Industrie nie zuvor gekannter Produktionseinbruch. Und davon besonders betroffen ist die Zulieferindustrie, die weit überwiegend für die inländischen Werke der Autohersteller arbeitet.“

„Politik darf Situation durch fehlerhafte Entscheidungen nicht verschlimmern“

Umso wichtiger sei, „dass die Politik die Situation nicht durch fehlerhafte Entscheidungen weiter verschlimmert“. Schmidt spricht sich für eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes aus: Mit dieser Regelung konnten fast 80 Prozent der befragten Unternehmen Arbeitsplätze sichern. „Die Kurzarbeitergeld-Regelung werden sie auch 2022 und möglicherweise auch 2023 weiter brauchen.“

Ein extremes Problem sind die Energiepreise: Schon im Januar lagen sie um 67 Prozent über dem Niveau des Vorjahres, seit Kriegsbeginn sind sie regelrecht explodiert. Dazu kommen die teils massiv gestiegenen Preise für Rohstoffe wie Kupfer, Nickel und das Edelgas Neon.

Europaweit höchste Steuern und Abgaben auf Industriestrom

Rund die Hälfte der Firmen rechnet daher mit deutlichen Umsatzrückgängen und teils drastischen Gewinneinbußen für 2022. Zahlreiche Betriebe dürften in Existenznot geraten. Ein Drittel der Unternehmen sieht ihre wirtschaftliche Existenz bei Fortdauer des Kriegs ernsthaft in Gefahr. „Die derzeitige Situation wie auch die Zukunftserwartungen sind von einem bisher nicht gekannten Pessimismus im Hinblick auf Umsatz- und Gewinnentwicklung geprägt. Wir plädieren dringend für eine sofortige pragmatische Senkung der Steuern und Abgaben auf Energie auf den EU-Mindestsatz.“ 91 Prozent der Betriebe sähen darin einen wichtigen Hebel.

Die deutsche Politik sorge, so Schmidt, mit ihren europaweit höchsten Steuern und Abgaben auf Industriestrom selbst für eine immense Wettbewerbsverzerrung. In dieser Lage müsse die Bundesregierung nicht nur die EEG-Umlage schnellstmöglich abschaffen, sondern auch das Wahlkampfversprechen des Bundeskanzlers einlösen und den Preis für Industriestrom in Richtung 4 Cent pro Kilowattstunde absenken.

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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