Berlin. Erst die Sorge um das Weltklima. Dann Corona. Und jetzt Russlands Krieg in der Ukraine. Was macht das mit jungen Leuten? Darüber hat aktiv mit Jugendforscher Professor Klaus Hurrelmann gesprochen, der die Gefühlswelt der 14- bis 29-Jährigen regelmäßig unter die Lupe nimmt.

Klima, Corona, Krieg: Ganz schön harte Zeiten für Jugendliche…

Ja, leider. Die junge Generation lebt eigentlich seit Beginn der Corona-Pandemie in einer Art Dauerkrisenmodus. Dieser wird natürlich jetzt noch durch den Krieg in der Ukraine besonders verschärft.

Ist das wirklich so ein gravierender Unterschied? Irgendwelche Krisen gab es schließlich immer.

Das stimmt. Aber diese Kaskade von Krisenereignissen, die momentan aufeinandertreffen und auf Jugendliche einprasseln, ist doch außergewöhnlich. Einzelne Ereignisse, wie etwa der Terroranschlag in New York am 11. September 2001, waren sicherlich auch einschneidend für die heute 25- bis 35-Jährigen. Aber für die Heranwachsenden hierzulande eben nicht existenzbedrohend. Das ist der entscheidende Unterschied.

Was hat das für Folgen in den Köpfen der jungen Leute?

Drei Krisen bestimmen gerade die Gedanken der Jugend. Erstens die Klimakrise, auf die junge Menschen sehr sensibel reagieren und wegen der sie sich verständlicherweise große Sorgen um ihre langfristige Zukunft machen. Zweitens hat dann die Corona-Pandemie mit allen Verboten krasse Einschnitte des Alltags bedeutet: Jugendliche wurden in ihrer Suche nach Freiheit, nach körperlicher und geistiger Identität stark eingeschränkt. Und nun kommt drittens der Krieg dazu. Bei dem man ganz realistisch fürchten muss, er könnte sich weiter ausbreiten. Das alles zusammen erschüttert das Lebensgefühl massiv.

Trifft das alle Jugendlichen gleich stark? Oder kommen manche damit besser zurecht als andere?

Einige können besser mit Krisen umgehen als andere. Das zeigen auch die Ergebnisse unserer Studie „Jugend in Deutschland“, für die wir alle sechs Monate Heranwachsende repräsentativ befragen. Das Elternhaus spielt dabei eine große Rolle. Jugendliche mit einem guten Bildungshintergrund und einem stabilen Umfeld kommen grundsätzlich besser zurecht. Man kann zum Beispiel sagen, dass etwa 70 Prozent der jungen Leute bislang recht gut durch die Pandemie gekommen sind. Ihnen wurde quasi „von Haus aus“ die nötige Widerstandsfähigkeit und Cleverness an die Hand gegeben.

Das bedeutet aber umgekehrt, dass wir uns um fast ein Drittel der jungen Leute Sorgen machen müssen?

Ja, das ist so. Das hat vor allem die Pandemie wie unter einem Brennglas deutlich gemacht. Die sogenannten bildungsfernen Schichten drohen weiter zurückzufallen! Insbesondere auch aufgrund der Schulschließungen: Die Eltern mit niedrigerem Bildungsniveau konnten das nicht auffangen – und so ist die Leistungsfähigkeit der Kinder deutlich gesunken. Leider schwächen Krisen die Schwachen am meisten.

Keine guten Voraussetzungen für den Berufsstart.

Stimmt. Man kann davon ausgehen, dass viele junge Leute in den kommenden Jahren Startschwierigkeiten haben werden. Und sich dann auch im Betrieb und in der Berufsschule schwertun.

Wie sollten denn Betriebe darauf reagieren?

Betriebe und Ausbilder müssen sich darauf einstellen, dass die Schwächen der jungen Leute schulisch betrachtet leider größer geworden sind. Und auch insgesamt hat die Leistungsfähigkeit deutlich abgenommen. Was hier ganz wichtig ist: Die duale Ausbildung bietet Jugendlichen die Riesenchance, sozusagen aus ihrem Schneckenhaus herauszukommen. Das können Ausbilder natürlich unterstützen, indem sie konkret auf die Bedürfnisse eingehen und ruhig auch den Krieg in der Ukraine offen ansprechen. Gleiches gilt für Lehrer in der Schule. Denn Potenzial schlummert ja oft in den jungen Leuten, es ist nur tiefer vergraben als bisher gewohnt.

48 Prozent befürchten einen Kollaps des Rentensystems.

Gibt es noch ein anderes großes Thema, das unsere Jugendlichen besonders umtreibt?

Ja: die Rente! Das Thema ist viel wichtiger als früher. In unserer neuesten Studie geben fast 50 Prozent der Heranwachsenden an, dass sie sich um ihre Alterssicherung sorgen. Und sogar den Kollaps des Rentensystems befürchten. Sie sind sich bewusst, dass die sichere Wohlstandsdecke, unter der ihre Eltern leben, für sie selbst deutlich dünner sein wird.

Blicken junge Leute also vor allem mit Sorge in die Zukunft?

Jugendliche zeichnen sich naturgemäß durch ihren Grundoptimismus aus – und schauen auch jetzt trotz der Umstände erstaunlich positiv nach vorne. Aber klar ist auch: Jugendliche sind nicht unendlich belastbar. Eltern, Lehrer und Betriebe müssen sie derzeit besonders unterstützen.

Nadine Bettray
aktiv-Redakteurin

Nadine Bettray schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Sie studierte Politikwissenschaft an der Fernuniversität Hagen. Anschließend zog es sie zum Arbeitgeberverband METALL NRW in Düsseldorf. Am Journalistenzentrum Haus Busch in Hagen absolvierte sie ein Volontariat. Wenn Nadine nicht am Schreibtisch sitzt, jubelt sie Rot-Weiss Essen zu oder rennt mit ihrem Hund durch den Wald. 

Alle Beiträge der Autorin